Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 21. 87 
liche Schule höherer Ordnung senden, oder daß sie ihnen privaten Unterricht entweder 
vereinzelt oder in einer eigentlichen Privatschule gewähren. Es ist die Aufgabe der 
Schulaufsichtsbehörde, darüber zu wachen, daß der private Unterricht den gesetzlichen 
Erfordernissen entspricht. Ist dies der Fall, so kann eine Ungesetzlichkeit darin nicht 
liegen, daß ein Kind eine ausländische Schule besucht. Die Judikatur schwankt aller- 
dings in dieser Beziehung. Das Kammergericht hat am 9. Februar 1885 (Johow 
Jahrbuch Bd. 5 S. 390) es für zulässig erklärt, die Kinder aus den Schulen zurück- 
zuhalten, sie im Auslande unterzubringen und die dortigen Schulen besuchen zu lassen, 
unter der Voraussetzung, daß der Unterricht, den die Kinder dort genießen, ein aus- 
reichender, d. h. ein solcher ist, welcher den der öffentlichen Schule zu ersetzen vermag. 
Dagegen hat es am 18. September 1890 dahin erkannt, daß Eltern, welche ihre schul- 
pflichtigen Kinder ohne Erlaubniß der zuständigen Schulaufsichtsbehörde ausländischen 
Schulanstalten übergeben und dadurch dem inländischen Schulunterricht entziehen, wegen 
Schulversäumniß strafbar seien (Johow Jahrbuch Bd. 11 S. 315). Die Prüfung und 
Entscheidung der Frage nämlich, ob der den schulpflichtigen Kindern Preußischer Staats- 
bürger in öffentlichen oder Privat-Unterrichts= oder Erziehungsanstalten ertheilte Unter- 
richt den Anforderungen der Kabinetsordre vom 14. Mai 1825, sowie des § 46 
II. 12 A. L. R. entspreche, stehe ausschließlich denjenigen Behörden und Beamten zu, 
welche nach § 1 des Gesetzes vom 11. März 1872 — stehe Anmerk. A. zu Art. 23 — 
die Aufsicht über die genannten Anstalten zu führen haben. Selbstverständlich erstrecke 
deren Aufsichtsrecht sich nur über Preußische Anstalten. Ohne spezielle Erlaubniß der 
zuständigen Aufsichtsbehörde dürfe deshalb kein schulpflichtiges Kind eines Preußischen 
Staatsbürgers einer ausländischen Anstalt zur Ausbildung übergeben werden. Dieses 
letztere Urtheil ist nicht unbedenklich. Es ist allerdings richtig, daß die Prüfung 
und Entscheidung der gedachten Frage den Preußischen Schulaufsichtsbehörden zu- 
steht, und daß diese ein Aufsichtsrecht nur über die Preußischen Anstalten haben. Daher 
muß derzjenige, der seine Kinder oder Pflegebefohlenen in einer ausländischen Anstalt 
unterrichten läßt, der Schulaufsichtsbehörde auf Verlangen die Zulänglichkeit des aus- 
ländischen Unterrichts nachweisen und macht sich wegen Schulversäumniß strafbar, wenn 
er trotz des ermangelnden Nachweises bei dem ausländischen Unterricht beharrt. Keines- 
wegs aber macht er sich schon dadurch strafbar, daß er, der ausländische Unterricht mag 
zulänglich oder unzulänglich sein, die Kinder der ausländischen Anstalt ohne spezielle 
Erlaubniß der inländischen Aufsichtsbehörde übergiebt. Denn die Einholung der Er- 
laubniß der Aufsichtsbehörde ist durch kein Gesetz vorgeschrieben; die mangelnde Berech- 
tigung der Preußischen Schulinspektoren, die nichtpreußischen Anstalten zu beaufsichtigen, 
macht den auf letzteren ertheilten Unterricht noch nicht zu einem unzulänglichen; endlich 
befiehlt weder das Allgemeine Landrecht, noch die Kabinetsordre vom 14. Mai 1825, 
noch Art. 21, noch ein sonstiges Spezialgesetz, daß die Kinder Preußischer Staats- 
angehörigen nur auf Preußischen Schulen unterrichtet werden dürfen. Auch steht mit 
der Ansicht des Kammergerichts die thatsächliche Uebung in Widerspruch. Abgesehen 
von den in Preußen selbst wohnenden Preußischen Staatsbürgern, welche ihre Kinder 
in die nächstgelegene Schule des benachbarten anderen Deutschen Staates, z. B. Ham- 
burgs oder Lübecks, schicken, giebt es sehr zahlreiche außerhalb Preußens und Deutsch- 
lands wohnende Preußen, deren Kinder die Schule des Aufenthaltsortes, also eine nicht- 
preußische Schule, besuchen, ohne daß die Erlaubniß irgend einer Preußischen Schul- 
aufsichtsbehörde eingeholt wird. Sie alle machen sich nach der Ansicht des Kammer- 
gerichts der Schulversäumniß schuldig, wenn auch wegen §§ 6, 8 des Strafgesetzbuchs 
eine Bestrafung der außerhalb Deutschlands wohnenden Delinquenten unzulässig ist. 
Die Preußische Staatsregierung ist ebenfalls anderer Ansicht. Sie hat nämlich mit den 
Regierungen sämmtlicher Deutschen Bundesstaaten, ausgenommen Bayern, ein Ueber- 
einsfommen dahin getroffen, daß die dem Preußischen Staate und vice versa einem der 
anderen Staaten angehörenden Kinder, welche sich in einem der Vertragsstaaten auf- 
halten, nach Maßgabe der am Orte des Aufenthaltes bestehenden Gesetze wie Inländer 
zum Besuche der Schule herangezogen werden sollen, daß diese Nöthigung zum 
Besuche der Schule nicht nur auf die eigentliche Volksschule, sondern wo daneben eine 
sogenannte Sonntags= oder Fortbildungsschule mit obligatorischem Charakter besteht, 
auch auf diese sich erstreckt, daß jedoch Kinder, welche sich durch ein Zeugniß der zustän- 
digen heimischen Schulbehörde darüber ausweisen, daß sie der nach der heimathlichen 
Gesetzgebung normirten Schulpflicht vollständig genügt haben, von fernerem Schulbesuche zu 
entbinden sind, auch wenn das am Orte ihres Aufenthaltes geltende Gesetz eine größere 
Ausdehnung des obligatorischen Unterrichts vorschreibt (Cirkularreskript des Ministers 
  
 
	        
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