Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 21. 
des Innern und des Ministers der geistlichen 2c. Angelegenheiten vom 13. November 
1876, Verwaltungs-Minist.-Bl. S. 272). Eine spezielle Erlaubniß der Schulaufsichts- 
behörden wird in dieser Vereinbarung nicht verlangt, und so erachtet selbst der Kultus- 
minister, auf dessen beiden Augen Mangels eines allgemeinen Unterrichtsgesetzes das 
gesammte Unterrichtswesen steht, eine solche Erlaubniß nicht für erforderlich. 
3. Der Schulzwang bezieht sich nnr auf die Kinder der Preußischen Staats- 
angehörigen, nicht auch auf die Kinder der in Preußen wohnenden Nichtpreußen. Unter „Ein- 
wohnern“ im Sinne des § 43 A. L. R. II. 12 — oben S. 85 — sind nur Preußische 
Staatsangehörige zu verstehen, und der im Titel II. der Verfassungsurkunde „Von den 
Rechten der Preußen“ stehende Art. 21 legt die Pflicht, für den nöthigen Schulunterricht 
der Kinder zu sorgen, nur den Preußischen Eltern und deren Stellvertretern auf. (Kam- 
mergericht 12. Oktober 1891, Johow Jahrbuch Bd. 12 S. 255.) 
Hiermit steht das eben erwähnte Uebereinkommen mit den andern Deutschen 
Bundesstaaten offenbar in Widerspruch. Aber in allen Vereinsstaaten ist der Schulzwang 
eingeführt, die Schulversäumniß strafbar. Wer also seinen Kindern oder Pflegebefohlenen 
weder in seinem Heimathsstaate noch in dem Staate seines Aufenthaltes den erforder- 
lichen Unterricht zukommen läßt, macht sich jedenfalls eines Zuwiderhandelns gegen das 
Strafgesetz seines Heimathsstaates schuldig und kann dafür an seinem Aufenthaltsorte 
(Strafprozeßordnung § 8) zur Verantwortung gezogen werden. Soweit das Ueberein- 
kommen nicht reicht, also wenn die Eltern oder deren Vertreter Nichtdeutsche sind, cessirt 
die Bestrafung, aber für diesen Fall ist in der Möglichkeit der Ausweisung ein nach- 
drückliches Zwangsmittel gegeben. 
4. Das Gebot, die Kinder oder Pflegebefohlenen nicht ohne den Unterricht zu 
lassen, welcher für die öffentlichen Volksschulen vorgeschrieben ist, trifft nur die Eltern 
und deren gesetzliche Vertreter. An erster Stelle also denjenigen, welchem vorzugsweise 
die Erziehungspflicht obliegt, also den Vater. Wem eine stellvertretende Erziehungs- 
pflicht obliegt, ist nach dem geltenden Rechte zu beurtheilen. Im Geltungs- 
gebiete des Allgemeinen Landrechts erkennt das Gesetz dieselbe nur an bezüglich des 
Adoptivvaters (8 681 A. L. R. 11 2), der durch Einkindschaft begründeten Vaterschaft 
(§ 720 a. a. O.), des PSllegevatere im Sinne des § 753 a. a. O., endlich bezüglich des- 
jenigen, welcher die Erziehungspflicht durch rechtsgültigen Vertrag übernommen hat 
(§ 772 a. a. O.) Für die ganze Monarchie gilt als Vertreter des Vaters der Vormund resp. 
die Mutter nach §§ 27, 28 der Vormundschaftsordnung vom 5. Juli 1875 (Ges.-Samml. 
S. 431). Dagegen hat der Stiefvater als solcher gesetzlich weder Erziehungsrechte noch 
Erziehungspflichten seinen Stiefkindern gegenüber, mag er auch denselben Wohnung und 
Unterhalt gewähren, und ebenso verhält es sich bei dem unehelichen Vater seinen unehelichen 
Kindern gegenüber. Beiden können allerdings solche Rechte und Pflichten unter ihrer 
Zustimmung von dem zuständigen Vormundschaftsgericht übertragen werden, aber Seitens 
der Polizeiverwaltung und durch eine Polizeiverordnung ist dies nicht möglich. Noch 
viel weniger besteht das Verbot der Zurückhaltung schulpflichtiger Kinder von dem Schul- 
besuche für bloße Arbeitsgeber. Siehe Kammergericht 31. Januar und 29. April 1889, 
23. Oktober 1890, 12. April und 6. Juli 1891, Johow Jahrbuch Bd. 9 S. 279 und 
283, Bd. 11 S. 316, Bd. 12 S. 252 und 253. 
5. Die den Eltern auferlegte Pflicht, für den regelmäßigen Schulbesuch ihrer 
schulpflichtigen Kinder Sorge zu tragen, darf sich renitenten Kindern gegenüber nicht auf 
bloße Anweisungen und Ermahnungen beschränken, sondern enthält zugleich die Ver- 
pflichtung, nach Kenntnißnahme von den ersten Schulversäumnissen des Kindes und nach 
gewonnener Ueberzeugung, daß die Ermahnungen und Unterweisungen nichts fruchteten, 
das Kind entweder selbst zur Schule zu führen oder, wenn die Verhältnisse dies nicht 
erlauben, polizeiliche Hülfe in Anspruch zu nehmen (Nam. 7. November 1897, Johow 
Jahrbuch Bd. 3 S. 229). 
6. Die angedrohte Strafe ist keine polizeiliche Exekutivstrafe, sondern eine eigent- 
liche Kriminalstrafe. Sie ist ein Mittel, um die künftige Beobachtung des Gesetzes zu 
sichern, das Ansehen des Strafgesetzes aufrecht zu erhalten, nicht aber ein Mittel, die 
einmal stattgefundene Unterlassung durch eine korrespondirende positive Handlung un- 
geschehen oder erledigt zu machen. Nur von einer Strafe für die Verletzung des Straf- 
gesetzes ist die Rede, nicht aber von einer Strafe, durch welche nicht eine bisherige Unter- 
lassung bestraft, sondern der Bestrafte bloß gezwungen werden soll, eine Handlung vor- 
zunehmen, welche er bisher nicht vorgenommen hat (Gerichtshof zur Entscheidung der 
Kompetenzkonflikte vom 14. März 1863 und 10. Dezember 1864, Just.-Minist.-Bl. 1863 
S. 126 und 1865 S. 54; Oberverwaltungsgericht 12. Februar 1881, Entscheidungen
	        
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