Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 21. 89 
Bd. 7 S. 215; Kammergericht 9. Februar und 19. März 1885, Johow Jahrbuch Bd. 5 
S. 390 und 396). Wird also die Strafe von der Polizeibehörde festgesetzt, so ist das fest- 
setzende Dekret eine Strafverfügung im Sinne des Gesetzes, betr. den Erlaß polizeilicher 
Strafverfügungen wegen Uebertretungen, vom 23. April 1883, und der Beschuldigte 
kann gegen die Strafverfügung auf gerichtliche Entscheidung antragen (Anm. B zu Art. 8, 
oben S. 68). 
Es fragt sich aber, welche Strafe über die Eltern und deren Vertreter verhängt 
werden darf. Das Allgemeine Landrecht und die Kabinetsordre vom 14. Mai 1825 
sagen nur allgemein, daß die Eltern und deren Vertreter „durch Bestrafung“, „durch 
Strafen“ angehalten werden sollen, die Kinder zur Schule zu schicken. Für diejenigen 
Theile der Rheinprovinz, in welchen das französische Recht Geltung kat, wird durch 
die Kabinetsordre vom 20. Juni 1835 über die Kompetenz der Polizeiverwaltungs- 
behörden in der Rheinprovinz in Bezug auf die Schulpslichtigseit und den schulpflichtigen 
Kindern zu ertheilenden Religionsunterricht (Ges.-Samml. S. 134) „eine Strafe von 
1 Sgr. bis 1 Rthlr., der nach Befinden der Umstände eine Gefängnißstrafe bis zu 24 
Stunden substituirt werden kann“, festgesetzt, wofür gegenwärtig auf eine Geldstrafe von 
Einer bis zu drei Mark, im Unvermögensfall auf einen Tag Haft zu erkennen ist. Die 
Strafsätze der einschlagenden Gesetze für die Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover und 
Hessen-Nassau sind verschieden, ja sogar, wie für Schleswig-Holstein, ganz unbestimmt 
gelassen. Ist in den in diesen drei Provinzen geltenden Gesetzen die Strafe unbestimmt 
gelassen, so ist die Handlung eine Uebertretung, und die Strafe geht von Einer bis zu 
einhundertfünfzig Mark bezw. Einem Tage bis zu sechs Wochen Haft (Verordnung, be- 
treffend das Strafrecht und das Strafverfahren in den durch das Gesetz vom 20. Sep- 
tember 1866 und die beiden Gesetze vom 24. Dezember 1866 mit der Monarchie ver- 
einigten Landestheilen, mit Ausnahme des vormaligen Oberamtsbezirks Meisenheim und 
der Enklave Kaulsdorf, vom 25. Juni 1867, Art. VIII, Ges.-Samml. S. 921). Dagegen 
enthält die allgemeine Bestimmung des § 48 A. L. R. II. 12 und die Nr. 1 der Kabinets- 
ordre vom 14. Mai 1825 keine praktisch zu verwendende Strafrechtsnorm. Auch aus 
dem Art. VIII. des Gesetzes über die Einführung des Strafgesetzbuchs für die Preußischen 
Staaten vom 14. April 1851 (Ges.-Samml. S. 93), nach welchem eine in den Gesetzen 
mit einer „willkürlichen“ Strafe bedrohte Handlung als eine Uebertretung angesehen 
und geahndet werden soll, läßt sich eine praktisch verwendbare Strafrechtsnorm nicht 
entnehmen, weil weder der § 48 cit. noch die Kabinetsordre vom 14. Mai 1825 die 
gegen die nachlässigen Eltern und deren Vertreter zu verhängende Strafe als eine „will- 
kürliche“ bezeichnen (Obertribunal Plenarentscheidung 8. Juli 1852, Oppenhof Recht- 
sprechung Bd. 13 S. 398). Fehlt es also hiernach an einem unmittelbar anwendbaren 
Strafgesetz, so ist doch durch die gedachten beiden Gesetze den Regierungen, jetzt den 
Regierungspräsidenten, die Ermächtigung ertheilt, auf Grund des § 12 Absatz 2 der 
Geschäftsinstruktion für die Regierungen vom 23. Oktober 1817 (Ges.-Samml. S. 248) 
die Eltern und deren Vertreter wegen der Schulversäumnisse der Kinder mit quantitativ 
bestimmten Strafen zu bedrohen. Dies kann füglich nicht bezweifelt werden. Denn das 
Gesetz, daß Eltern durch Zwangsmittel und Strafen angehalten werden können, ihre 
Kinder zur Schule zu schicken, ist kein privatrechtliches, sondern gehört dem öffentlichen 
Rechte an, den Vorschriften, welche gegeben sind, um die Wohlfahrt des Staates und 
seiner Unterthanen zu befördern und zu beschützen, insbesondere in Bezug auf die Aus- 
bildung durch Schulunterricht und Erhaltung der dazu vom Staate bestimmten Anstalten. 
Das landespolizeiliche Interesse, welches hiernach jenen beiden Bestimmungen zu Grunde 
liegt, stellt dieselben in die Reihe der Polizeigesetze (Kammergericht 19. März 1885 und 
2. April 1891, Johow Jahrbuch Bd. 5 S. 390 und Bd. 11 S. 313). 
Der § 48 und die Kabinetsordre vom 11. Mai 1825 verordnen außer der Be- 
strafung auch noch die Anwendung von Zwangsmitteln, also von Exekutivstrafen neben 
der kriminellen Strafe. Wenn die übrigen Maßnahmen zur Erzwingung des Schul- 
unterrichts sich als erfolglos erweisen, ist die Polizeibehörde befugt, das Kind zwangs- 
weise zur Schule zu sistiren. Uebrigens hat hier schließlich der Vormundschaftsrichter 
einzugreisfen, indem er dem Vater oder dessen Vertreter unter Ernennung eines Vor- 
mundes die Erziehung der Kindes abnimmt, bezw. den säumigen Vormund mit Ordnungs- 
strafen belegt und, wenn auch diese nichts nützen, absetzt. 
Nach § 16 des Gesetzes, betreffend die Unterbringung verwahrloster Kinder, vom 
13. März 1878 (Ges.-Samml. S. 132) „werden die gesetzlichen Bestimmungen, wonach 
die zwangsweise Unterbringung von Kindern in eine geeignete Familie oder in eine 
Erziehungs= oder Besserungsanstalt auch ohne die Voraussetzung einer verübten straf
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.