I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 21. 91
die Vorschriften des A. L. R. Thl. II. Tit. 2 § 76, nach welcher bei Ehen zwischen
Personen verschiedenen Glaubensbekenntnisses die Söhne in der Religion des Vaters,
die Töchter aber in dem Glaubensbekenntnisse der Mutter bis nach zurückgelegtem 14.
Jahre unterrichtet werden sollen, nur dazu dienen, den Religionsunterschied in den
Familien zu verewigen und dadurch Spaltungen zu erzeugen, die nicht selten die
Einigkeit unter den Familiengliedern zum großen Rochtheig derselben untergraben.
Höchstdieselben setzen daher hierdurch allgemein fest, daß Hbeliche Kinder jedesmal
in der Religion des Vaters unterrichtet werden sollen, und daß zu Abweichungen
von dieser gesetzlichen Vorschrift kein Ehegatte den andern durch Verträge verpflichten
dürfe. Uebrigens bleibt es auch noch fernerhin bei der Bestimmung des § 78
a. ua. O. des Landrechts, nach welcher Niemand ein Recht hat, den Eltern zu
widersprechen, solange selbige über den ihren Kindern zu ertheilenden Religions-
unterricht einig. sind.
Seine Königl. Majestät befehlen sämmtlichen Landesjustizkollegien und Ge-
richten, insbesondere den Konsistorien und vormundschaftlichen Behörden, sich nach
dieser Deklaration gebührend zu achten, und soll selbige gedruckt und zur allgemeinen
Kenntniß gebracht werden.
Berlin, den 21. November 1803.
Friedrich Wilhelm.
v. Goldbeck. v. Massow.
Diese Deklaration ist durch die Kabinetsordre vom 17. August 1825 (Ges.-Samml.
S. 221) auf die ganze Monarchie ausgedehnt worden, so daß für deren damaligen Um-
fang bei einer reinen Ehe der Wille des Vaters, bei einer gemischten Ehe der Wille der
Eltern maßgebend, in Ermangelung solcher Einigung aber das Kind in der Religion
des Vaters zu unterrichten ist. Für die später hinzugekommenen Landestheile sind die
für sie früher oder später ergangenen Spezialgesetze und in Ermangelung solcher der
unbezweifelte Grundsatz des Gemeinen Deutschen Familienrechts maßgebend, daß die dem
Vater bezüglich der Erziehung der Kinder gebührende überwiegende Stimme sich auch
geltend macht bezüglich des Religionsunterrichts.
Die mitgetheilten Gesetze befehlen nach ihrem Wortlaut, daß auf jeden Fall
irgend ein Religionsunterricht ertheilt, die Kinder nicht ohne Religionsunterricht erzogen
werden sollen, wonach sich der Schulzwang auch auf den Religionsunterricht erstrecken
würde. Der Katholik, der Jude, der in einer rein evangelisch-lutherischen, rein christ-
lichen Gemeinde wohnt, würde also gezwungen sein, seinen Kindern in der Religion
Privatunterricht zukommen zu lassen oder sie in eine auswärtige katholische oder jüdische
öffentliche Schule zu schicken, und wenn er aus Mangel an Gelegenheit und Mitteln
keins von beiden thut, würden die Kinder zur Theilnahme am evangelisch-lutherischen,
am christlichen Religionsunterricht genöthigt. Diese wortdeutliche Erklärung ist aber
vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Es heißt in § 2 A. L. R. II. 1l:
Jedem Einwohner im Staate muß eine vollkommene Glaubens= und Ge-
wissensfreiheit gestattet werden,
und sowohl das Patent vom 30. März 1847 (Anm. A. zu Art. 12, oben S. 74), als
auch der Art. 12 der Verfassungsurkunde gewährleisten die Freiheit des religiösen Be-
kenntnisses. Die Behauptung, daß man bei schulpflichtigen Kindern von Willensfreiheit
in religiösen Fragen nicht sprechen könne, ist insoweit irrig, als nach dem Rechte des
größten Theils der Monarchie „nach zurückgelegtem vierzehnten Jahre es lediglich in
der Wahl der Kinder steht, zu welcher Religionspartei sie sich bekennen wollen“ (Worte
des Allgemeinen Landrechts in § 84 II. 2; in Schleswig-Holstein, Kurhessen und
Frankfurt a. M. mit Erreichung des gesetzlichen Konfirmationsalters). Auf jeden Fall
würde durch jenen Zwang die Gewissensfreiheit der Eltern, des Vaters schwer beein-
trächtigt, denn zu den Handlungen, durch die Jemand seinen Glauben bethätigt gehört,
daß er ihn seinen Kindern überliefert. Vielfach würde, so hat einmal ein katholischer
Abgeordneter im Abgeordnetenhause ausgeführt, durch einen solchen Zwang, den man
auf das Kind übt, in die Gewissensfreiheit des Vaters viel schärfer eingegriffen, als
wenn man ihn selbst wegen seines Bekenntnisses an Leib und Leben bedrohe. Denn
wenn man ihn durch eine Todesdrohung zwingen wolle, seinem Bekenntnisse untreu zu
werden, so sei das allerdings ein großes Unglück, aber wenn Gott ihm gnädig sei, werde
er die richtige Entscheidung zu treffen wissen; versuche man aber sein Kind von dem
Wege abzulenken, den er als allein zum Heile führend betrachte, so fehle ihm jedes
Mittel, solches abzuwenden. In der That ist niemals daran gezweifelt worden, daß in