I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 21. 95
nachgesucht, aber nicht erhalten habe, zu bestrafen sei, vollkommen zutreffend; denn
der Angeklagte hatte eben „die Erlaubniß nicht vorher eingeholt".
leichwohl erübrigt sich nicht das Eingehen auf die vom Angeklagten an-
geregte und vom Schöffengericht ausführlich erörterte, vom Berufungsrichter im
inne des Schöffengerichts gebilligte Rechtsfrage. Denn die Ausführungen des An-
geklagten kommen darauf hinaus, daß er, weil er selbst Dissident sei, einer Erlaubniß
zur Versäumniß des Religionsunterrichts für seinen Sohn nicht bedurft habe, sie
enthalten deßhalb die Behauptung, daß die Polizeiverordnung, insoweit sie die Ein-
holung jener Erlaubniß für die Versäumniß des Religionsunterrichts seitens der
nder von Dissidenten vorschreibe, gegen die von ihm citirten Gesetze verstoße.
Nur insoweit hat das Gericht mit der streitigen Rechtsfrage zu thun; es
lehnt es ausdrücklich ab, die Rechtsbeständigkeit des Erlasses des Herrn Kultus-
ministers vom 16. Januar 1892 und die Rechtmäßigkeit der Verweigerung der Er-
laubniß zur Versäumniß des Religionsunterrichts seitens des Schulinspektors einer
Prüfun wu unterziehen, weil diese Erlaubniß nach der Holizeiverordnung allein von
dem Schulinspektor zu ertheilen ist, die Gründe für die Verweigerung der Erlaubniß
daher nur im Verwaltungswege von den vorgesetzten Dienstbehörden, nicht aber von
dem Gericht, welches für diese Frage ganz unzuständig ist, zu prüfen sind.
Die vorgedachten Ausführungen des Mgeklagken sind für zutreffend nicht
erachtet worden.
Nach § 43 Theil II. Tit. 12 des Allgemeinen Landrechts und der Aller-
höchsten Kabinetsordre vom 14. Mai 1825 sind die Eltern, welche für den nöthigen
Unterricht ihrer Kinder in ihrem Hause nicht sorgen können oder wollen, verpflichtet,
ihre Kinder in die Schule zu schicken. Geschieht letzteres, so „unterliegt der Umfang
und die Art des dem Kinde daselbst zu ertheilenden Unterrichts lediglich den An-
ordnungen der zuständigen Schulbehörde, und es kann dem Vater die Befugniß
nicht zugesprochen werden, eigenmächtig in die von der Schulbehörde festgesetzte
Schulordnung einzugreifen. Es steht dem Vater daher auch nicht zu, die Kinder an
dem Besuchen einzelner Lehrstunden den von der Schulbehörde getroffenen Bestim-
mungen entgegen zu hindern“ (Urtheil des Kammergerichts vom 29. April 1886,
Lohruch der Entscheidungen, Band 6, Seite 294 und 295). Dies gilt insbesondere
auch von dem Religionsunterricht, für den zu sorgen dem Vater vorzüglich in § 75
Theil II. Tit. 2 des Allgemeinen Landrechts zur Pflicht gemacht ist. Was hier von
der Schule im Allgemeinen gesagt ist, gilt auch von der Volksschule.
Nach Art. 21 der Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat dürfen
Eltern ihre Kinder nicht ohne den Unterricht lassen, welcher für die öffentliche Volks-
schule vorgeschrieben ist.. Demgemäß können die Eltern ihren Kindern zwar im
Hause den Unterricht ertheilen lassen, doch muß derselbe den Vorschriften der Volks-
schule entsprechen. Geschieht dies nicht, wird das Kind in die öffentliche Volksschule
aufgenommen, so muß es dort auch an allen Lerrstunden, insbesondere am Religions=
unterricht, theilnehmen, soweit nicht die Schulbehörde eine Ausnahme gestattet.
Zu Unrecht beruft sich Revident auf 8§ 11 Theil II. Tit. 12 des Allgemeinen
Landrechts. Wenn hiernach „Kinder, die in einer andern Religion, als welche in
der öffentlichen Schule gelehrt wird, nach den Gesetzen des Staats erzogen werden
sollen, dem Religionsunterricht in derselben beizuwohnen, nicht angehalten werden
können“, so ist hiermit nur der Grundsatz ausgesprochen, daß Kinder nicht zur Theil-
nahme an dem Religionsunterricht der öffentlichen Schule gezwungen werden sollen,
wenn sie in einer andern Religion nach den Gesetzen des Staats erzogen werden
sollen. Demgemäß beweist diese landrechtliche Bestimmung gerade das Gegentheil
von dem, was Revident beweisen will; sie beweist, daß eine Erlaubniß zur Ver-
säumniß des Religionsunterrichts der öffentlichen Schule nur ertheilt werden darf,
wenn der Nachweis geführt wird, daß das Kind in einer andern Religion nach den
Gesetzen des Staats erzogen werden soll.
Das Gesetz vom 14. Mai 1873, betreffend den Austritt aus der Kirche, steht
dieser Auffassung nicht entgegen. Aus demselben folgt keineswegs, daß die Be-
stimmung des § 11 Theil II. Tit. 12 des Allgemeinen Landrechts jetzt auch auf
Kinder anzuwenden ist, welche ohne Religion erzogen werden sollen. Das gedachte
Gesetz bestimmt nur die Form für den Austritt aus der Kirche und die bürgerliche
Wirkung desselben und bezieht sich auf Kinder überhaupt nicht. Nach § 1 erfolgt
der Austritt durch die Erklärung des Austretenden in Person vor dem Richter seines
Wohnortes. Demnach können nur verfügungsfähige Großjährige aus der Kirche