I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 32. 111
selbst gerichtet werden. Die Petitionen an den Landtag dürfen nicht in Person
überreicht werden (Art. 81 Abs. 2). — Artikel 32 findet seine augenfälligste An-
wendung in den Petitionen an den Landtag, aber das Petitionerecht trägt die
Möglichkeit einer gesetzlichen Umgehung der Minister und des Landtages in sich,
führt die Volksmeinung unmittelbar an den Thron. Seine Hauptbedeutung besteht
eben darin, daß auch in Fällen, in denen die Minister nicht als Vermittler der
Volksgesinnung annehmbar erscheinen und auch der Weg durch die Landesvertretung
aus irgend einem Grunde sich als nicht rathsam, ja als unwirksam erweist, in ihm
ein Mittel gegeben ist, welches trotz der konstitutionellen Stellung des Monarchen
unmittelbar vom Volke zum Throne führt.
4. Bezüglich des veranlassenden Objectes ist der Petition nur Eine Schranke gesetzt.
Das Unrecht nämlich, die Rechtsverletzung, gegen welche sich die petitionäre Beschwerde
richtet, kann sowohl dem Gebiete des Rechts als dem der Verwaltung, diese im
allgemeinsten Sinne genommen, angehören. Indessen hat die verfassungsmäßige
Unabhängigkeit der Gerichte einschließlich der Verwaltungsgerichte (Art. 86) zur
Folge, daß Beschwerden gegen angeblich von den Gerichten bei der Handhabung der
Justiz begangene Rechtsverletzungen nur im richterlichen Instanzenzuge, sei es als Be-
schwerden im engeren Sinn gegen einfache Dekrete, sei es als Rechtsmittel gegen
Urtheile verfolgt werden können. Eigentliche Beschwerden finden nur statt wegen
verzögerter und verweigerter Justiz, auf Grund des in der Gerichtsherrlichkeit
des Staates enthaltenen Rechts der Oberaussicht über das dienstliche Verhalten der
Justizbeamten und auf Grund des Rechts, gegen Säumniß, Nachlässigkeit und Ordnungs-
widrigkeiten einzuschreiten. Nicht hierher zu rechnen ist der Fall der Ausübung des
Begnadigungsrechts (Art. 19), weil durch sie keineswegs ein gerichtliches Urtheil
aufgehoben oder verändert, sondern nur eine dem Strafgesetze verfallene Person,
ohne daß sie darauf einen rechtlichen Anspruch hätte, von den gesetzlichen Folgen
ihrer That ganz oder theilweise entbunden wird. —
In § 156 A. L. R. II 20 wird ausgesprochen, daß es einem Zeden freistehe,
seine Zweifel, Einwendungen und Bedenklichkeiten gegen Gesetze und andere Anordnungen
im Staate, sowie überhaupt seine Bemerkungen und Vorschläge über Mängel und Ver-
besserungen sowohl dem Oberhaupte des Staates, als auch den Vorgesetzten des De-
partements anzuzeigen, und daß Letztere dergleichen Anzeigen mit erforderlicher Auf-
merksamkeit zu prüfen hätten. Zu diesen „Jeden“ und zu den in Art. 32 benannten
„allen Preußen“ gehören auch die Behörden und die Korporationen. Es fragt sich, wie
weit deren Petitionsrecht inhaltlich reicht, ob es ebensoweit wie das Petitionsrecht jedes
Privaten, oder ob ihnen dasselbe nur innerhalb ihres Wirkungskreises gebühre. Die
Frage kam bereits bei der Revision des Art. 32 zur Sprache und in der Revisions=
kommission der Zweiten Kammer wurde beantragt, zu bestimmen, daß den Behörden
und Korporationen das Petitionsrecht nur innerhalb ihres Wirkungskreises gebühren
solle. Dieser Antrag wurde jedoch abgelehnt, weil diese Beschränkung unausführbar sei,
und weil der vorgesegzten Behörde obliege, diejenigen Behörden und Korporationen in
ihre Grenzen zurückzuweisen, welche hierin in einzelnen Fällen die Grenzen ihres Wirkungs-
kreises überschreiten würden (Stenogr. Ber. der II. Kammer 1849/1850 Bd. 2 S. 633).
Insbesondere ist diese Frage bezüglich der Gemeindevertretungen ventilirt worden. Mittels
Cirkularreskripts vom 6. Juni 1863 (Verwaltungs-Minist.-Bl. S. 118) hat der Minister
des Innern erklärt, daß den städtischen Behörden das Recht nicht zustehe, Petitionen
in Betreff allgemeiner Staats- und Verfassungsangelegenheiten zu beschließen und ein-
zubringen. Die gleiche Ansicht ist auch einmal im Abgeordnetenhause aufgestellt, worden
Stenogr.-Ber. 1860 Bd. 1 S. 898). Alsdann hat auf Grund eines Berichts seiner
#S##gnon für das Gemeindewesen vom 4. Februar 1865 und nach zweitägigen Ver-
handlungen vom 8. und 10. März 1865 das Abgcordnetenhaus die Resolution ange-
nommen,
„daß Ministerialreskripte, welche den Magistraten und Stadtverordneten das
Petitions= und Beschwerderecht in öffentlichen Angelegenheiten untersagen oder
beschränken, und die darauf gerichteten Exekutivmaßregeln dem Art. 32 der
Verfassungsurkunde widerstreiten“
(Stenogr. Ber. 1865 Bd. 1 S. 356 bis 371 und 331 bis 408, Anlageband 4 Nr. 31
S. 295, Drucksachen Nr. 34). v. Rönne schließt sich der in dieser Resolution niederge-
legten Ansicht an (Bd. 2 S 14 S. 181, 182), wogegen Arndt den Stadtgemeinden
jenes Recht nur soweit zubricht als die kommunalen Interessen in Frage stehen (zu
Art. 32 Anmerk. 2), und v. Schulze sich garnicht darüber äußert. Nach der Recht-