114 I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 34. 35.
eines Telegrammes in Ermangelung einer Zustimmung des Betroffenen nur dem Richter
Mittheilung gemacht werden. Das Gesetz geht aus praktischen Gründen noch weiter,
indem es auch die Frage, ob und zwischen welchen Personen telegraphischer Verkehr statt-
gefunden hat, dem Telegraphengeheimniß unterstellt.
Artikel 34.
Alle Preußen sind wehrpflichtig. Den Umfang und die Art
dieser Pflicht bestimmt das Gesetz.
Artikel 35.
Das Heer begreift alle Abtheilungen des stehenden Heeres und
der Landwehr.
Im Falle des Krieges kann der König nach Maßgabe des Ge-
setzes den Landsturm aufbieten.
A. Nach Art. 4 Nr. 14 der Reichsverfassung unterliegen der Beausfsichtigung seitens des
Reichs und der Gesetzgebung desselben das Militärwesen und die Kriegsmarinc.
Die Kriegsmarine des Reichs ist eine einheitliche unter dem Oberbefehl des
Kaisers. Die Organisation und Zusammensetzung derselben liegt dem Kaiser ob,
welcher die Offiziere und Beamten ernennt, und für welchen diese nebst den Mann-
schaften eidlich in Pflicht genommen werden (Reichs Serfassung Art. 53 Abs. 1). Also nicht
nur die Gesetzgebung, sondern auch der Oberbefehl und die ganze Verwaltung sind
Reichssache, das — durch einen kommandirenden Admiral nach den Anweisungen des
Kaisers geführte — Oberkommando und das — unter Verantwortlichkeit des Reichs-
kanzlers von einem Staatssekretär geleitete — Reichsmarineamt sind Reichsämter, die
Kriegsmarine ist überhaupt vollständig von den Einzelstaaten losgelöst, es giebt keine
Preußische Marine, kein Preußisches Marineministerium mehr.
Bei dem Landheere steht der niegsherrlichkeit des Kaisers die Kontingents-
herrlichkeit der einzelnen Landesherren zur Seite. Die Reichsverfassung überträgt die
Militärgesetzgebung auf die Organe der gesetzgebenden Gewalt des Reiches (Art. 4 Nr. 14),
sie macht die gesammten Kosten des Militärwesens zu einem Theile des Reichsfinanz-
wesens (Art. 62, 67), sie überträgt den Oberbefehl in Krieg und Frieden über die, ein
einheitliches Heer bildende gesammte Landmacht des Reichs auf den Kaiser (Art. 63),
aber sie beläßt den Einzelstaaten die Selbstverwaltung ihrer Kontingente. Es giebt somit
noch eine Preußische Armeeverwaltung, ein Preußisches Kriegsministerium. Dies tritt
allerdings nur selten scharf hervor, weil der Preußische König zugleich Deutscher Kaiser
ist, und weil es kein Reichskriegsministerium giebt, vielmehr der Preußische Kriegominister
dem Kaiser zur Ausübung der dem Reiche zustehenden obersten Leitung und Kontrole
in Angelegenheiten der Heeresverwaltung dient. In inuristischer Beziehung ist es aber
nöthig, die Existenz einer selbstständigen Preußischen Kontingentsverwaltung mit einem
Kriegsministerium als spezifisch Preußischer Landesbehörde zu beachten. Der Preußische
Kriegsminister ist zur selbstständigen Verwaltung des Militärwesens und insbesondere
zur selbstständigen wirthschaftlichen Armeeverwaltung auf Rechnung und in Vertretung
es Reichs berechtigt und in dieser Beziehung den Reichsfiskus — Reichsmilitärfiskus
— zu vertreten befugt. Z. B. bei der Veräußerung militärfiskalischer Grundstücke legi-
timirt zur Auflassung derselben nicht eine Vollmacht des Reichskanzlers, sondern des
Kriegsministers. Wenn einzelne Bundesstaaten durch Militärkonventionen mit Preußen
auf ihr Recht der Heeresverwaltung verzichtet haben, so ist hiernach die Ausübung des-
selben nicht auf das Reich, sondern auf den Preußischen Staat übergegangen. Siehe
Reichsgericht 20. Dezember 1887, Just.-Minist.-Bl. 1888 S. 217. Hieraus folgt aber
keineswegs, wie Arndt S. 286 will, daß bei justifizirenden Kabinetsordern auf dem Ge-
biete der Militärverwaltung nicht die Gegenzeichnung des Reichskanzlers erforderlich,
sondern die des Preußischen Kriegsministers genügend sei. Denn der Letztere vertritt
zwar den Reichsmilitärfiskus in der laufenden Verwaltung, aber nicht den Reichsminister
gegenüber dem Reichstage und dem Rechnungshofe des Deutschen Reiches.