1. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Ark. 45. 129
lassen müßte. Vielmehr ernennt und entläßt der Monarch die Minister nach eigenem
Ermessen und ist nicht verpflichtet, unter Preisgebung seiner eigenen Prüfung die dahin
gehenden Wünsche und Beschlüsse des Landtages zu erfüllen bezw. zu befolgen.
Ein Ausfluß der vollziehenden Gewalt ist die Organisationsgewalt, d. h. das Recht, die
Zusammensetzung, die Zuständigkeit, das Verfahren, die Bezirke und Sitze der Behörden
zu bestimmen. Dieses Recht der Krone ist in Art. 45 gewährleistet und untersteht daher
nur den in der Verfassungsurkunde selbst und in anderen Gesetzen enthaltenen Be-
schränkungen. Im Wege der Gesetzgebung sind insbesondere festzustellen:
die Organisation, Sitze und Bezirke der Gerichte (Art. 89. Art. 2 Anmerk. C., oben S. 48);
die Grenzscheide der gegenseitigen Befugnisse der Gerichte und Verwaltungsbehörden
und die Organisation des Kompetenggerichtshofes (Art. 96);
die Einrichtung und die Befugnisse der Oberrechnungskammer (Art. 104);
die Bildung der gleichzeitig als Körperschaften in Betracht kommenden Provinzen
und Kreise (Art. 2 Anmerk. C., oben S. 48).
Weit über diese Spezialfälle hinaus untersteht die Organisationsgewalt der Krone zwei
#usmfssenden prinzipiellen Einschränkungen. Nämlich:
1. Wenn durch die von der Krone beabsichtigten Errichtungen neuer und Veränderungen
der Organisation bereits bestehender Behörden Mehrkosten erwachsen, so ist gemäß
Art. 99 der Verfassungsurkunde bezw. § 18 des Gesetzes, betreffend die Ein-
richtung und die Befugnisse der Oberrechnungskammer, vom 27. März 1872 (Ges.=
Samml. S. 278) die vorgängige Genehmigung des Landtages im Staatshaushalts-
ctat zu dem durch jene Errichtungen bezw. Veränderungen erferderlich werdenden
Mehraufwande nöthig. Wenn der Landtag diesen Mehraufwand nicht bewilligt,
so muß eben die Errichtung, die Veränderung unterbleiben. War sie in Erwar-
tung jener Genehmigung bereits vorher erfolgt, so ist für die Erstattung der Kosten
derienige Minister verantwortlich, welcher durch die Gegenzeichnung des Königlichen
Erlasses die Verantwortlichkeit auf sich genommen bezw. den Erlaß ausgeführt hat.
Wenn aber der Landtag den von der Krone geforderten Kostenbetrag im Staats-
haushaltsetat bewilligt hat, so ist die Krone allerdings vermöge ihrer Organisations-
gewalt berechtigt, die Organisationsveränderung im Wege Königlicher Verordnung
anzuordnen, sofern nicht aus anderen Gründen die Form des Gesetzes nothwendig
ist. Diese Form kann aber
2. auch abgesehen von den oben verzeichneten speziellen Fällen geboten sein. Ein
Gesetz kann eben nur durch Gesetz, nicht durch Verordnung geändert werden. So-
bald daher Behördenverfassungen geändert werden sollen, welche in bestehenden
Gesetzen angeordnet sind, ist eine Mitwirkung der Kammer im Wege der Gesetz-
gebung erforderlich. Siehe hierzu auch unten Art. 110 Anmerk. Abs. 2. Die Er-
richtung neuer Behörden ist entweder zugleich eine Veränderung in der Organisation
bestehender, so daß das eben Gesagte auch auf sie Anwendung findet, falls die be-
stehenden gesetzlich angeordnet sind. Oder es ist für die neuen Behörden ein ganz
neuer Wirkungskreis geschaffen. In diesem Falle ist zu unterscheiden, ob die
Schaffung dieses neuen Wirkungskreises auf Verordnung oder auf Gesetz beruht.
Beruht sie auf Verordnung, so ist die Organisationsgewalt natürlich unbeschränkt,
wogegen in letzterem Falle entweder das Gesetz selbst die organisatorischen Be-
stimmungen enthält oder den Verordnungsweg frei läßt; schweigt das Gesetz aus-
nahmsweise ganz über diese Frage, so ist die Organisationsgewalt wiederum un-
beschränkt. Dagegen unterliegt die Organisationsgewalt unbedingt der Beschränkung,
daß, wenn in dem Inhalte und Umfange der in der Staatsgewalt enthaltenen
materiellen Regierungsrechte etwas geändert werden, eine Einschränkung
oder Erweiterung derselben eintreten soll, dies nur im Wege der Gesetzgebung
geschehen kann. Welche der bestehenden Behörden auf gesetzlichen Anordnungen
beruhen, ist in jedem Einzelfalle besonderer Prüfung zu unterziehen. In Betreff
der nach dem Erlasse der Verfassungsurkunde entstandenen Behörden ist die Frage
wesentlich nach der Form des Zustandekommens der früheren Anordnung und nach
der Art der Publikation dieser Anordnung zu entscheiden, während für die Zeit vor
dem Erlasse der Verfassungsurkunde der materielle Inhalt der früheren Anordnung
maßgebend ist, weil hier die gesetzgeberischen Anordnungen häufig mit reglementarischen
Bestimmungen vermischt in derselben Form erscheinen, somit die bloße Form des Er-
lasses nicht maßgebend sein kann.
Hiermit stimmt überein eine Erklärung des Ministers des Innern in der
Sitzung des Herrenhauses vom 30. Jannar 1869 (Stenogr. Berichte 1868/1869 S. 188):
Schwary, Preußische Verfassungsurkunde. 9