Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

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B. 
I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. öl. 
Agnaten zu. Arndt (Anmerk. 5 zu diesem Artikel) schweigt über die Befugniß zur 
Schließung, spricht aber die Befugniß zur Auflösung dem Staatsministerium ab, weil 
demselben nicht die allgemeinen Königlichen Rechte, sondern nur ganz bestimmte Be- 
fugnisse übertragen seien. Diese Behauptung ist gegenüber der Bestimmung des Art. 58: 
„Bis zum Antritt der Regentschaft von Seiten des Regenten führt das Staatsministerium 
die Regierung“ schwer verständlich. 
Mit dieser Maßgabe ist die Berufung, Schließung und Auflösung ausschließliches 
Recht des Königs. 
Die Berufung der Häuser des Landtages ist, wie suh A bemerkt, das ausschließliche 
Recht des Königs. Ein Selbstversammlungsrecht des Abgeordneten= oder des Herren- 
hauses ist dem konstitutionellen Staatsleben Preußens völlig fremd. Die Verfassungs- 
kommission der Nationalversammlung hatte in ihrem Entwurf als Art. 70 die Be- 
stimmung ausgenommen, daß die Kammern berechtigt sein sollten, sich, wenn sie bis 
dahin nicht berufen worden, alljährlich am 30. November, sowie spätestens am zehnten 
Tage nach dem Tode des Königs aus eigener Initiative zu versammeln. Diese Be- 
stimmung ist aber in die oktroyirte Verfassungsurkunde vom 5. Dezember 1848 nicht 
übergegangen. Bei der Revision der letzteren wurden vergeblich zu Art. 54 verschiedene 
Anträge gestellt, welche verlangten, daß bei einem Regierungswechsel die Kammern 
auch ohne Berufung zusammentreten bezw. binnen einer bestimmten Frist berufen werden 
sollten (v. Rönne Bd. 1 § 62 S. 267 Anmerk. 4). Zedes Zusammentreten der Kammern 
ohne landesherrliche Berufung wäre verfassungswidrig, die von einer solchen Versammlung 
gefaßten Beschlüsse wären null und nichtig, die Art. 81 bis 85 der Verfassungsurkunde 
blieben außer Anwendung, die Theilnehmer an den Versammlungen unterständen der 
Verordnung, betreffend Verhütung eines Mißbrauchs des Versammlungs= und Ver- 
einigungsrechtes, vom 11. März 1850 (unten Nr. III). 
Der Versammlungsort ist durch die Verfassungsurkunde oder ein sonstiges Gesetz 
nicht festgesetzt. Der König ist in der Wahl des Ortes nicht beschränkt. Observanz- 
mäßig wird der Landtag nach der Haupt= und Residenzstadt Berlin einberufen. 
Dagegen ist es nicht in das Belieben des Königs gestellt, ob und zu wann er 
den Landtag überhaupt berufen will oder nicht, sondern er ist dazu verfassungsmäßig 
verpflichtet. Nämlich: 
1. Der Landtag ist regelmäßig in dem Zeitraum von dem Anfange des Monats No- 
vember jeden Dabrees bis zur Mitte des folgenden Januar zu versammeln, wogegen 
es in dem Ermessen des Königs steht („so oft es die Umstände erheischen“), ob und 
zu welchem Zeitpunkte er die Volksvertretung außerordentlicher Weise versammeln 
will (Art. 76 neue Fassung). Die Nichtbeobachtung dieser Fristen würde eine 
Verfassungsverletzung erhalten, für welche die Minister, zunächst der Minister des 
Innern, verantwortlich wären, ohne daß jedoch dadurch die Befugnisse des verspätet 
einberufenen Landtages beeinträchtigt würden. 
2. In nothwendiger Konsequenz des Zweikammersystems, weil nur beide Häuser zu- 
sammengenommen die Volksvertretung bilden, müssen beide Häuser gleichzeitig ein- 
berufen und eröffnet werden (Art. 77 Abs. 2). 
Die Schließung des Landtages ist das ausschließliche Recht des Königs. Eine Selbst- 
schließung ohne gleichzeitige Niederlegung des Mandats involvirt eine Verletzung der 
durch Annahme des Mandats überkommenen Pflichten, hindert die überstimmte Minorität 
nicht an der Fortführung der Sitzungen und kann Seitens der Krone durch Auflösung 
bezw. Ernennung neuer goereaihungen Altenr illusorisch gemacht werden. Mit der 
Schließung ist die Sitzungsperiode des Landtages beendet und beide Häuser hören mit 
diesem Moment auf, als Kollegien zu bestehen. Sollen sie ihre Thätigkeit wieder be- 
ginnen, so ist ihre neue Einberufung und Eröffnung erforderlich, bei welcher aber die 
einzelnen Mitglieder des alten Landtages wieder erscheinen, wenn nicht inzwischen die 
fünfjährige Legislaturperiode des Abgeordnetenhauses abgelaufen ist, somit neue Wahlen 
stattgefunden haben. Von der Fortsetzung der Verhandlungen nach ausgesprochener 
Schließung gelten die oben sub B vorgetragenen Grundsätze über das Tagen des Land- 
tages ohne Königliche Einberufung. Da die Verfassungsurkunde über die Dauer einer 
Sitzungsperiode keine Bestimmungen enthält, so dauert eine einmal eröffnete Session solange, 
bis entweder die fünfjähr. Legislaturperiode abläuft oder der Monarch von seinem Schließungs- 
recht Gebrauch macht. Dies kann er zu jeder Zeit nacheigenem Ermessen. Eine Beschränkung 
des Schließungsrechts besteht nur dahin, daß nach Art. 77 Abs. 2 die Schließung beider 
Kammern gleichzeitig geschehen muß. Die Schließung nur einer Kammer, z. B. des 
Abgeordnetenhauses, ohne gleichzeitige Schließung des Herrenhauses wäre eine die Minister
	        
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