I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 52. 147
haftbar machende Verfassungsverletzung. In solchem Falle würde das einmal ge-
schlossene Haus sich nicht selbst versammeln dürfen, wohl aber wären alle Beschlüsse des
anderen Hauses, sowie die auf Grund solcher Beschlüsse ergehenden Gesetze nichtig, wie
überhaupt dieses andere Haus trotz weiteren Tagens rechtlich ebenfalls als geschlossen
zu gelten haben würde.
D. Die Auflösung des Landtags ist gleichfalls das ausschließliche Recht des Königs. Eine
Selbstauflösung hat nur die Bedeutung einer Mandatsniederlegung Seitens der für die-
selbe stimmenden Mitglieder und steht im Uebrigen auf gleicher Linie mit der sub C
gedachten Selbstschließung. Die Auflösungsbefugniß des Königs bezieht sich jedoch
gegenwärtig nur auf das Abgeordnetenhaus, weil seit Erlaß des Gesetzes wegen Bildung
der Ersten Kammer vom 7. Mai 1853 und der Verordnung wegen Bildung der Ersten
Kammer vom 12. Oktober 1854 (unten Nr. IV und Anmerk. A zu Art. 65/68) das
Herrenhaus lediglich aus Mitgliedern mit erblicher Berechtigung und solchen, die auf
Lebenszeit berufen sind, besteht, aus solchen Mitgliedern also, denen das Recht auf Sitz
und Stimme im Hause als ein dauerndes verfassungsmäßig gewährleistet ist. Dem
entsprechend bestimmte auch Abs. 3 des Art. 65 alter Fassung: „Eine Auflösung der
Ersten Kammer bezieht sich nur auf die aus Wahl hervorgegangenen Mitglieder.“
Entsteht ein Konflikt zwischen der Krone und dem Herrenhause, so hat jene als einziges
Mittel, den Widerstand zu brechen, nur den s. g. Pairschub, die Ernennung der er-
forderlichen Anzahl neuer Herrenhäusler. Schreitet die Krone zur Auflösung des Ab-
geordnetenhauses, so ist nach Art. 77 Abs. 3 das Herrenhaus gleichzeitig zu vertagen.
Die Auflösung entzieht nicht nur, wie die Schließung, dem Abgeordnetenhause
in seiner Gesammtheit den kollegialen Charakter und nöthigt es zur Einstellung seiner
Thätigkeit, sondern entzieht allen einzelnen Mitgliedern des Hauses ihren Ageordneten-
character, nimmt ihnen das Mandat, macht sie aus Volksvertretern wieder zu einfachen
Staatsbürgern. Mit der Auflösung ist die Legislaturperiode nicht bloß des aufgelösten
Abgeordnetenhauses, sondern auch des — blos vertagten — Herrenhauses beendet (An-
merk. B zu Art. 77) und ein neuer Wahlakt bezüglich des ersteren erforderlich, in welchem nach
Art. 75 die bisherigen Abgeordneten wieder wählbar sind. Von der Fortsetzung der Verhand-
lungen nach ausgesprochener Auflösung gelten die oben sub B vorgetragenen Grundsätze über
das Tagen des Landtages ohne Königliche Einberufung. Wie oft der Monarch auf-
lösen will, steht in seinem Ermessen und hat eine Schranke nur in der durch Art. 99
gesetzten Nothwendigkeit, den Staatshaushaltsetat jährlich durch ein Gesetz festzustellen.
Auflösen darf der Monarch das Abgeordnetenhaus nicht nur, wenn es versammelt,
sondern auch wenn es nicht versammelt ist, und sogar dann, wenn es, als neu gewähltes,
noch gar nicht zusammengetreten ist. Das Letzere bestreitet v. Rönne (Bd. 1 8 66
S. 285), weil bei der Auflösung ihrem Zwecke nach von der Voraussetzung ausgegangen
werde, daß ausweislich der bisherigen Thätigkeit des Abgeordnetenhauses bei dessen
jetziger Zusammensetzung eine für den Staat ersprießliche Wirksamkeit nicht zu erwarten sei.
Aber eine solche Voraussetzung läßt sich unter Umständen schon aus der bloßen Zu-
sammensetzung des Hauses gewinnen, und tudem spricht die Verfassungsurkunde das
Auflösungsrecht dem Monarchen ohne solche Unterscheidung zu, so daß die Rechtsregel:
lege non distinguente nec nostrum est (listinguere Anwendung findet. Jene Ansicht
steht auch in Widerspruch mit v. Rönne's eigener unten zu Art. 73 zu erwähnenden
Ansicht, daß die Legislaturperiode nicht erst mit Eröffnung des Landtages, sondern schon
mit dem Tage der Wahlen zum Abgeordnetenhause beginne. Sie würde auch zu einem
regelmäßig unnöthigen und gleichwohl kostspieligen Auskunftsmittel führen, nämlich dahin,
daß die Krone den Landtag beriefe und sogleich nach stattgehabter Eröffnung auflöste.
Damit die Auflösung des Abgeordnetenhauses nicht zu einer Beeinträchtigung
seiner konstitutionellen Wirksamkeit überhaupt führen möge, bestimmt Art. 51, daß die
Wahl nicht über 60, die Versammlung der Kammern nicht über 90 Tage nach der
Auflösung hinausgeschoben werden darf. Für die Nichteinhaltung dieser Fristen gelten
die Grundsätze, welche Anmerk. B. 1 über die verspätete Einberufung überhaupt vor-
getragen sind.
Artikel 52.
Der König kann die Kammern vertagen. Ohne deren Zustim-
mung darf diese Vertagung die Frist von dreißig Tagen nicht über-
steigen und während derselben Session nicht wiederholt werden.
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