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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 53.
Dieser Grundsatz der Untheilbarkeit des Staatsgebietes in Verbindung mit dem Um-
stande, daß Preußen als Monarchie nur Ein Staatsoberhaupt haben kann, bedingt,
aß aus der Königlichen Familie im Falle der Thronerledigung nur Eine Person auf
den Thron berufen wird. Nach der Vorschrift der Verfassungsurkunde, in Ueberein-
stimmung mit den Hausgesetzen 0n vergleichen ist die Zusammenstellung aus den Haus-
geseten in den Stenograph. Berichten der I. Kammer 1849/1850 Bd. III. S. 5 ist
die Krone erblich in dem Mannesstamme des Königlichen Hauses nach dem Rechte der
Erstgeburt und der agnatischen Linealfolge. Die Krone vererbt sich somit innerhalb der
successionsfähigen Mitglieder des Mannesstammes, nur ein Agnat, d. h. eine Person
männlichen Geschlechts und von einem Prinzen der Königlichen Familie erzeugt, also
mas a mare, kann König werden; dagegen sind die Mitglieder weiblichen Geschlechts
mit ihrer ganzen Nachkommenschaft von der Thronfolge ausgeschlossen. Dieser unbedingte
Vorzug der Agnaten vor den Kognaten tritt in der Hausgesetzgebung nicht immer ent-
schieben ervor und wird noch von Friedrich dem Großen in der Pragmatischen Sanktion.
von 1752 bezweifelt, ist aber nach der Verfassungsurkunde jedenfalls auf solange un-
zweifelhaft, als der Mannesstamm noch nicht ausgestorben ist.
Die Frage, wer von mehreren Agnaten im konkreten Falle den Thron be-
steigt, wird von den Hausgesetzen und der Verfassungsurkunde dahin beantwortet, daß
es der Erstgeborene, primo genitus, nach der agnatischen Linealfolge ist. Das Wesen
der Primogeniturordnung besteht, wie es v. Schulze Bd. 1 § 58 S. 189 in lichtvoller
Weise darlegt, darin, daß der natürliche Altersunterschied, allein und ohne weitere
Rücksicht, nur da den Ausschlag giebt, wo es sich um die Söhne des ersten Erwerbers
bezw. des letzten Inhabers der Krone handelt. Sobald die Succession über die Söhne
hinausgeht, tritt unter deren Descendenten die reine Linealfolge ein, d. h. es findet ein
unbedingtes Repräsentationsrecht statt, indem selbst der entfernteste Descendent an die
Stelle seines vorverstorbenen Ascendenten tritt und ein Uebergang auf die Linie eines
jüngeren Sohnes nur zulässig ist, wenn in der Linie des älteren Sohnes gar kein suc-
cessionsfähiges Mitglied mehr vorhanden ist. Es wird also hier immer auf den Vorzug
der Linie und innerhalb der Linie auf das Recht der Erstgeburt gesehen; irgendwelche
Berücksichtigung der Gradesnähe ist mit dem klar erkannten Wesen dieser reinen Lineal=
folge unverträglich. So succedirte nach dem Tode Friedrich des Großen nicht dessen
noch lebender dritter Bruder Prinz Heinrich, sondern der Sohn des verstorbenen zweiten
Bruders August Wilhelm, Friedrich Wilhelm II. In diesem hat das Königshaus jetzt
seinen nächsten gemeinschaftlichen Stammvater. Seine männliche Nachkommenschaft
blüht noch in den beiden Linien Friedrich Wilhelm's III. und des Prinzen Ludwig
Karl. Die erstere zerfällt in die Speziallinien Wilhelm's I. und der beiden Prinzen
Karl und Albrecht. Die Speziallinie Wilhelm's I. hat sich wiederum gespalten in
die Unterlinien Wilhelm's II. und des Prinzen Heinrich. Wenn die, z. Z. 7 Agnaten
(den König und sechs Prinzen) umfassende Linie Wilhelms II. in ihrem succeessions-
fähigen Mannsstamme erloschen sein sollte, kommen successive die Linien der Prinzen
Heinrich, Friedrich Karl Alexander (jetzt Friedrich Leopold) und Friedrich Heinrich
Albrecht (ietzt Friedrich Wilhelm Nikolaus Albrecht) auf den Thron. Mit dem Aus-
sterben der drei Linien Wilhelm, Karl und Albrecht wäre die Oberlinie König Friedrich
Wilhelm's III. erloschen und würde die Berufung erfolgen an die zweite Oberlinie des
Prinzen Ludwig Karl. In dieser stehen die beiden Prinzen Friedrich Wilhelm Ludwig
Alexander und Friedrich Wilhelm Georg, welche in Veranlassung eines Familienbeschlusses
vom Jahre 1843 unvermählt geblieben sind. Mit dem Erlsschen auch dieser beiden
Linien wäre die durch die Hausgesetze und die Verfassungsurkunde begründete agnatische
Thronfolge — die Fürsten von Hohenzollern gehören nicht zu den successionsberechtigten
Agnaten des Königshauses — beendigt.
Darüber, wie es für den Fall des Aussterbens aller Agnaten gehalten werden
soll, schweigt die Verfassungsurkunde. Zunächst läßt sich an eine subsidiäre Thronfolge
der weiblichen Linie, also der Prinzessinnen und der männlichen Kognaten, denken. Dabei
würde wieder das Verhältniß zu dem letzten Throninhaber maßgebend sein, also dessen
Tochter, die Erbtochter, den kollateralen Kognaten, den sog. Regredienterben, vorgehen,
und in dem neuen töchterlichen Geschlecht würde sich die Erbfolge wieder nach dem
Rechte der Erstgeburt und der agnatischen Linealfolge regeln. Nun läßt sich ein sub-
sidiäres Thronfolgerecht der KRognaten nicht beweisen. Nach den Hausgesetzen gehen zwar
die Agnaten unbedingt vor, haben die Töchter bei ihrer Wegheirathung in eine fremde
Familie auf ihre Erbfolgerechte zu verzichten, aber ein ausdrücklicher Ausschluß der
Kognaten ist nicht ausgesprochen. Dagegen heißt es in dem Nachtrage zur Erneuerung
der Pactorum domus von 1752: