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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 54.
nach welchem eine Großjährigkeitserklärung überhaupt erst nach vollendetem achtzehnten
Lebensjahre ulässig ist.
Der König ist Vormund und Pfleger aller bevormundeten Familienmitglieder,
bezw. falls mit seiner Genehmigung ein Anderer als Vormund fungirt, Obervormund,
wobei W das Ministerium des Königlichen Hauses als ausführende Behörde zur
eite steht.
Das Gelöbniß,
die Verfassung des Königreichs fest und unverbrüchlich zu halten und in Ueberein-
stimmung mit derselben und den Gesetzen zu regieren,
soll ein eidliches sein, jedoch ist der Gebrauch der Formel „ich gelobe eidlich“ oder
„ich schwöre“" nicht erforderlich, vielmehr genügt ein mit einem eidlichen Gelöbniß sich
inhaltlich deckender Ausdruck. Der erste Verfassungseid eines Preußischen Königs, nämlich
der Friedrich Wilhelm's IV. vom 6. Februar 1850 (oben S. 30) lautete: „ich gelobe
feierlich, wahrhaftig und ausdrücklich vor Gott und Menschen.“
Ueber den Zeitpunkt der Ableistung des Gelöbnisses enthält die Verfassungsurkunde
keine Bestimmung, aber es versteht sich von selbst, daß das Versprechen, verfassungs-
und gesetzmäßig zu regieren, streng genommen dem ersten Regierungsakte vorangehen
und, da solche Strenge regelmäßig unmöglich sein wird, jedenfalls so bald wie möglich
nach Uebernahme der Regierung erfolgen muß, wolche letztere freilich bei Minderjährigkeit
oder sonstiger dauernder Verhinderung des Monarchen an der Selbstregierung mit der
Thronbesteigung nicht zusammenfällt. Eine grundlose Verzögerung des Zeitpunktes über
die nächste Sesston des Landtages hinaus wird für eine Weigerung, dem Art. 54 nach-
zukommen, angesehen werden können.
Es ist selbstverständlich, daß der Monarch auch vor der Ablegung des Gelöbnisses
bereits zur Beobachtung der Verfassung und der Gesetze verpflichtet ist, — princeps
legibus solutus non est. Wenn er nun die Ableistung des Gelöbnisses entweder aus-
drücklich verweigert oder grundlos verzögert, so enthält dies eine Verfassungsverletzung,
für welche diejenigen Minister, welche ungeachtet der Weigerung die Erlasse des Königs
gegenzeichnen, verantwortlich sind. Was die weiteren Folgen anbetrifft, so gehen die
Meinungen auseinander. v. Rönne (Bd. 2 § 156 S. 312, 313) äußert sich darüber
in folgender Weise:
Die Verfassungsurkunde enthält nun zwar keine ausdrücklichen Bestimmungen
über die rechtlichen Folgen der Unterlassung oder Verweigerung der Ableistung des
Verfassungseides des Regierungsnachfolgers, allein sie i eine zwischen der Krone
und der Volksvertretung vereinbarte, und aus dieser rechtlichen Natur des Staats-
grundgesetzes folgt, daß der König nur alesdann rechtlich befugt ist, die durch die
Verfassung festgestellten Regierungsrechte auszuüben, wenn er seinerseits der ihm
durch den Art. 54 dieser Verfassung auferlegten Verbindlichkeit Genüge geleistet hat.
Die verweigerte Erfüllung dieser verfassungsmäßigen Verpflichtung würde daher
zur Folge haben, daß die gleichwohl faktisch ausgeübten Regierungshandlungen der
staatsrechtlichen Gültigkeit entbehrten, wodurch indessen nicht für ausgeschlossen zu
erachten, daß sie solche durch spätere Erfüllung der Vorschrift des Art. 54 nach-
träglich erlangen können.
Auf S. 343 in der Anm. 3 erläntert v. Rönne seine Ausführung durch das
Citat aus Dahlmann's Politik (2. Aufl.) S. 199:
„Es ist das Recht der Unterthanen, nach welchem auch die Gerichtshöfe sich
zu halten angewiesen sind, die Regierung eines Fürsten, welcher die Bestätigung
der Landesverfassung verweigert, als noch nicht angetreten zu betrachten."“
Es wird aber gewiß der schuldigen Verehrung gegen Dahlmann keinen Abbruch thun,
wenn man seinem, des Nichtjuristen, Ausspruch in einer im Jahre 1847 erschienenen
Schrift über Politik kein Gewicht beizulegen vermag bei der Entscheidung einer Frage
des Preußischen Verfassungsrechts, zumal die Preußischen Gerichtshöfe es ganz gewiß
ablehnen werden, jenes angebliche Recht des Volkes und ihre angebliche Pflicht ohne
weiteren Quellennachweis als existent anzunehmen. v. Rönne's Hinweis darauf, daß die
Verfassung eine vereinbarte ist, besagt Nichts, da die Thronfolge in einer Erbmonarchie
nicht auf einem Uebereinkommen zwischen Fürst und Volk beruht, das erst durch Zu-
sagen von der einen oder anderen Seite perfekt würde. Es tritt noch hinzu, daß es
endgiltig nicht darauf ankomme, ob der Monarch schwören will oder nicht will, sondern
darauf, ob er schwört oder nicht schwört, ohne Rücksicht auf die Gründe für das Nicht-
schwoören. Die Ansicht v. Rönne's würde also dahin führen, daß die sämmtlichen Re-
gierungsakte eines Monarchen rechtlich ungiltig wären, welcher, wie König Friedrich 11I.,