Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 54. 157 
durch seinen Gesundheitszustand überhaupt verhindert gewesen ist, das Gelöbniß so, wie 
es Art. 54 vorschreibt, in Gegenwart der vereinigten Kammern persönlich zu leisten. 
Dieselbe ist überhaupt unhaltbar. Der König ist unabsetzbar, also kann seine Weigerung 
kein Absetzungsgrund sein. Daß die Weigerung gleichbedentend sei mit einem Verzicht 
auf die Kronc, mit einer Abdankung, nimmt v. Rönne selbst nicht an. Ebensowenig 
läßt sich als Folge der Weigerung eine Suspension der Regierungsrechte des Landes- 
fürsten überhaupt und folgeweise der entsprechenden Pflichten der Unterthanen gegen ihn 
hinstellen, womit, da das Land nicht ohne Regierung sein kann, der Eintritt einer den 
Landesherrn provisorisch ausschließenden Regentschaft verbunden sein müßte. Wie jene 
Suspension, findet auch diese Regentschaft keinen Anhalt an der Verfassungsurkunde, 
welche eine Regentschaft überhaupt nur für den Fall der Minderjährigkeit des Königs 
oder seiner dauernden Verhinderung an der eigenen Regierung anordnet. Die Annahme, 
daß von vornherein der Uebergang der Staatsgewalt auf den Thronfolger bis zur 
Leistung des Gelöbnisses suspendirt sei, scheitert an dem für die Dauer und den Be- 
stand der monarchischen Staatsordnung nothwendigen, im Gemeinen Deutschen wie im 
Preußischen Staatsrecht unbezweifelten Grundsatz, daß der Uebergang der Staatsgewalt 
von dem bisherigen Inhaber auf den zur Nachfolge Berechtigten im Augenblick der 
Thronerledigung erfolgt der Todte erbt den Lebendigen; le mort saisit le vif; rex 
non moritur; le roi est mort, vive le roi), woran auch durch die Setung einer 
Potestativbedingung für die gesetz- oder verfassungsmäßige Ausübung der Regierungs- 
gewalt Nichts geändert wird. Endlich bietet die Verfassungsurkunde ein treffendes ar- 
gumentum a contrario gegen die v. Rönnel'sche Ansicht, indem sie nicht auch für den 
Monarchen, sondern, in Art. 58, nur für den Regenten vorschreibt, daß dieser bis zur 
Leistung des Eides nicht berechtigt ist, selbstständig über die Regierungsgewalt zu ver- 
fügen. Somit bleibt als rechtliche Folge der Eidesweigerung des Monarchen nur die, 
daß die, auf die Verfassung vereideten, Minister durch ihren Eid verpflichtet sind, ihre 
Mitwirkung an der Regierung zu versagen, und daß diejenigen von ihnen, welche gleich- 
wohl mitwirken, als Gehilfen der Verfassungsverletzung erscheinen. Da das in Art. 61 
verheißene Ministerverantwortlichkeitsgesetz bislang nicht erlassen worden, ist die Ver- 
antwortlichkeit der Minister zur Zeit nur eine politisch-moralische. Ebenso ist und bleibt 
der Monarch selbst unverantwortlich (Art. 43). Aber wenngleich der Eid des Fürsten 
auf die Verfassung nur eine subjektive Garantie bietet, deren Kraft sich nach derienigen 
des religiösen Glaubens richtet, so gewähren doch die religiösen Motive, die natürliche 
Scheu vor der allgemeinen Verachtung bei fürstlichem Meineide und vor der dadurch 
dem Volke nahe gelegten Veranlassung, gegen solchen Treubruch auch seinerseits die 
Treue zu brechen, dieser Garantie eine hohe Bedentung. 
Der hier für richtig erachteten Ansicht sind u. A. auch Zachariä Deutsches 
Staats-- und Bundesrecht, 3. Auflage 1865, Bd. 1 8 56 S. 298 ff., § 65, III. S. 344; 
v. Gerber Grundzüge eines Systems des Deutschen Staatsrechts, 2. Aufl., 1869, 8 31 
S. 92; Arndt zu Nr. 54 Anm. 2; Bornhak BR-Pd. 1 S. 183; v. Stengel S. 43; 
v. Schulze Bd. 1 § 63 S. 197. Letzterer spricht sich über die Frage in folgender Weise aus: 
Unzweifelhaft ist es eine schwere Verfassungsverletzung, wenn der neu an- 
tretende Monarch es unterlassen oder sich ausdrücklich weigern sollte, den vorge- 
schriebenen Verfassungseid zu leisten. In einem solchen Falle steht den Volksver- 
tretern als den Wächtern der Verfassung, wie bei jeder Verfassungsverletzung, zu, 
zur Beseitigung derselben alle gesetzlichen Mittel zur Anwendung zu bringen, wobel 
auch die Ninsseranklag= gegen die, sich mit bei der Weigerung betheiligenden 
Minister in Betracht kommen würde, soweit dieselbe überhaupt praktisch anwendbar 
ist; dagegen läßt es sich juristisch nicht rechtfertigen, wenn man in der Unterlassung 
dieser Pflicht einen Verzicht auf die Krone erblicken, oder wenigstens deduciren will, 
daß die Ausübung der Regierungsrechte solange suspendirt bsliben müsse, bis der 
Verfassungseid geleistet sei. Es kann politisch zweckmäßig erscheinen, nach Vorbild 
der Belischen Verfassung § 79 ein derartiges Präindiz in die Verfassung aufzu- 
nehmen; aber es ist unjuristisch, bei völligem Stillschweigen der Verfassung, ein so 
weitgehendes Prinzip hineinzulegen, welches übrigens, bei entschieden verfassungs- 
feindlichem Geiste des neuen onarchen, immer noch keine genügende Sicherheit 
bieten würde. 
Vielmehr ist nach deutsch-monarchischem Staatsrechte anzuerkennen, daß so- 
wohl der Verfassungseid des neuen Monarchen, als der Huldigungseid der Unter- 
thanen juristisch keine andere Bedeutung haben, als beiderseits schon bestehende 
Verpflichtungen feierlich zu bestätigen. Die fortdauernde Giltigkeit der Landes-
	        
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