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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. IArrt. 55.
verfassung hängt ebensowenig von der eidlichen Bestätigung des neuen Monarchen
ab, wie die staatsbürgerliche Gehorsamspflicht der Unterthanen von der Leistung
ihres Huldigungseides.
C. Der Regierungsantritt wird herkömmlich durch ein Patent des neuen Monarchen öffent-
n
D.
lich verkündigt, worin derselbe gewöhnlich zugleich ein Anerkenntniß der Verfassung und
der verfassungsmäßigen Rechte der Unterthanen, auch wohl der Rechte der Staatsdiener,
geistlicher und weltlicher Korporationen u. s. w. ausspricht. Ein solches Patent beruht
eu keiner staatsrechtlichen Nothwendigkeit und kann nur als Anzeige der faktischen Besitz-
nahme angesehen werden, indem das gedachte Anerkenntniß sich von selbst versteht. Diese
Patente (Ansprache, Proklamationen) werden daher auch nicht förmlich in gesetzmäßiger
ierhubke#, sondern durch Abdruck im Staatsanzeiger zur allgemeinen Kenntniß
gebracht
Huldigung ist die feierliche Eidesleistung, durch welche von sämmtlichen männlichen
großjährigen oder mindestens achtzehn Jahre alten Staatsangehöri en die Verpflichtung
zu Treue und Gehorsam gegen den Souverän sofort nach dessen? egierungsantritt be-
kräftigt wird. Sie ist, da sich jene Verpflichtung von selbst versteht, staatsrechtlich ohne
Bedeutung, von der Verfassungsurkunde nicht vorgesehen und daher, wenn sie auf Wunsch
des neuen Monarchen erfolgt, ein rein freiwilliger Akt Seitens der sie Leistenden.
In der Proklamation vom 3. Juli 1861 (Königlich Preußischer Staatsanzeiger
1861 Nr. 160 S. 1311) erklärte König Wilhelm I.:
Unsere Vorfahren in der Krone haben uns das ehrwürdige Herkommen
überliefert, daß den Königen Preußens beim Regierungsantritte eine Erbhuldigung
geleistet worden. Wir halten dieses Herkommen als ein unverbrüchliches Anrecht
Unserer Krone fest und wollen es ebenso Unseren Nachfolgern in der Regierung
gewahrt wissen. In Betracht der Veränderungen aber, welche in der Verfassung
der Monarchie unter der reich gesegneten Regierung Unseres vielgeliebten Bruders
Königs Friedrich Wilhelm IV. hochseligen Andenkens eingetreten sind, haben wir
beschlossen, an Statt der Erbhuldigung die feierliche Krönung zu erneuern, durch
welche von Unserem erhabenen Ahnherrn König Friedrich I. die erbliche Königs-
würde in Unserem Hause begründet worden. Die Feier der Krönung soll in Gegen-
wart der Mitglieder der beiden Häuser des Landtages und der sonst von Uns zu
entbietenden Zeugen aus allen Provinzen des Königreichs im Monat Oktober 1861
in Königsberg vollzogen werden. Durch diese Feier wollen Wir von dem geheiligten
und in allen Zeiten unvergänglichen Rechte der Krone, zu der Wir durch
Gottes Gnade berufen worden, Zeugniß ablegen und von neuem das durch eine
glorreiche Geschichte geknüpfte Band zwischen Unserem Hause und dem Volke
Preußens befestigen.
Die Krönung fand nach einem von dem Minister des Innern erlassenen Programm
am 18. Oktober 1861 in Königsberg statt. Die beiden Nachfolger Königs Wilhelm I.
haben sich nicht krönen lassen. Auch die Krönung beruht auf keiner staatsrechtlichen
Nothwendigkeit, widerspricht aber weder der Verfassungsurkunde, noch dem Geiste der
konstitutionellen Staatsordnung.
Siehe unten Art. 108.
Artikel 55.
Ohne Einwilligung beider Kammern kann der König nicht zu-
gleich Herrscher fremder Reiche sein.
Wie v. Rönne Bd. 1 § 37 S. 162 ff. nachweist, haben die gesetzgebenden Fak-
toren den Art. 55 so, wie er jetzt vorliegt, auf die Deutschen Staaten — die Glieder-
staaten des jetzigen Deutschen? Reiches, Lichtenstein und Luxemburg, jedoch nicht Oesterreich
— nicht beziehen wollen. Somit ist die Einwilligung des Landtages nicht erforderlich,
wenn der König zugleich Herrscher eines anderen Deutschen Staates wird. Soll ein
anderer Staat, er sei ein Deutscher oder ein fremder, mit Preußen durch Realunion
oder Annexion verbunden werden, so bedarf es dazu nach Art. 2 eines Gesetzes.
v. Rönne bemerkt weiter a. a. O.:
Wenn dagegen nicht der Fall eines Erwerbes eines Deutschen Staates oder
Gebietstheiles durch Preußen im Wege der Succession, sondern aus einem anderen
staatsrechtlichen Rechtstitel vorliegt, so muß allemal der Grundsatz zur Anwendung
gelangen, daß eine solche Erwerbung als eine für den Staat gemachte anzusehen