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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 56. 57. 58.
dispositionsfähigen Monarchen die Regentschaft übernimmt, aber dieser Wille kann nicht
hinausgehen über eine Erklärung zu Gunsten der Regentschaft, nicht hinaus über eine
Aufforderung zur Uebernahme der dem Aufgeforderten laut Art. 56 ohnehin schon zu-
stehenden Regentschaft. Die Regentschaft wird eben nicht übertragen, sondern über-
nommen, und staatsrechtlich betrachtet, geht der zur Regentschaft Berufene
aus eigener Initiative vor. Berufen zur Regentschaft ist derjenige Agnat, welcher
der Krone am nächsten steht, welcher also gemäß der in der Königlichen Familie
geltenden Successionsordnung, (Art. 53) nach dem Tode des verhinderten Monarchen
zur Succession gelangen würde, vorausgesetzt, daß er selbst regierungsfähig, vor allem
volljährig ist, widrigenfalls die Delation an den zweitnächsten Agnaten u. s. w. gelangt.
Die Uebernahme der Regentschaft erfolgt selbstverständlich unter Mitwirkung und Gegen-
zeichnung des verantwortlichen Staatsministeriums. Alsdann ist der Landtag unver-
züglich von dem Regenten zusammenzuberufen, um über die Nothwendigkeit der Regent-
schaft zu beschließen. Unverzüglich, d. h. sobald wie möglich, also unbeschadet eines
durch die Umstände gebotenen Aufschubs, wenn z. B. die Regentschaft während eines
Krieges nothwendig wird und der Regent im Felde steht.
Wenn kein regierungsfähiger, insbesondere volljähriger Agnat vorhanden, die
künftige Nothwendigkeit einer Regentschaft aber vorauszusehen ist, so kann für diesen
Fall schon im Vorwege spezielle Anordnung getroffen werden, jedoch nicht durch König-
liche Verordnung, sondern nur durch Gesetz. Hierbei ist der Gesetzgeber auf einen be-
stimmten Kreis von Personen nicht beschränkt. Ist ein solches Gesetz nicht rechtzeitig
zu Stande gekommen, so kann es auch während der Minderjährigkeit oder Re-
gierungsunfähigkeit des derzeitigen Souveräns nicht erlassen werden, weil die Sanktion des-
selben von Seiten des Monarchen dessen Regierungsfähigkeit zur Voraussetzung hat.
In diesem Falle hat das Staatsministerium die Kammern zu berufen, welche in ver-
einigter Sitzung nach Anerkennung der Nothwendigkeit der Regentschaft einen Regenten
wählen. Auch der Landtag ist bei seiner Wahl auf einen bestimmten Kreis von Per-
sonen nicht beschränkt, darf jedoch nach der übereinstimmenden Ansicht v. Rönne's (Bd. 1
§ 48 S. 184), v. Schulze's (Bd. 1 § 69 S. 211) und v. Stengel's (S. 45) nur Einen
Regenten wählen, nicht mehrere Regenten zu einem Regentschaftskollegium, einer Mit-
regentschaft, obgleich das Staatsministerium, welches bis zum Antritt der Regentschaft
von Seiten des Gewählten die Regierung führt, ein Kollegium bildet.
Nach Einrichtung der Regentschaft hat der Regent vor den vereinigten Kammern
einen Eid zu schwören, "
(Ndie Verfassung des Königreichs fest und unverbrüchlich zu halten und in Ueberein-
stimmung mit derselben und den Gesetzen zu regieren.
Bis zu der Leistung dieses Eides bleibt in jedem Falle das bestehende gesammte
Staatsministerium für alle Regierungshandlungen verantwortlich, kann also der Regent
in dem Personal des — nicht von ihm eingesetzten — Staatsministeriums keinen Per-
sonenwechsel vornehmen, d. h. nicht selbstständig, sondern nur nach den Beschlüssen des
Ministeriums über die Regierungsgewalt verfügen. Konsequenter Weise ist die Weigerung,
diesen Eid abzuleisten, als ein Verzicht auf die Regentschaft anzusehen.
Es ist noch zu beachten:
a) Eine Verpflichtung zur Uebernahme der Regentschaft existirt nicht. Der ge-
setzlich berufene Agnat kann daher die Berufung ablehnen, ohne sich dadurch seines event.
Ehroofocrileue für die Zukunft zu begeben.
b) Wie bereits mehrfach bemerkt, muß der Regent selbst großjährig sein. Nach
v. Rönne (Bd. 1 § 47 S. 182 Anm. 2) und v. Schulze (Bd. 1 § 69 S. 212 Abs. 1
und Anm. 1) soll das Alter der Thronmündigkeit allein entscheiden, wenn auch für die
Agnaten ein anderer Privatmündigkeitstermin besteht. Diese Meinung ist deshalb
egenstandslos, weil für sämmtliche Mitglieder des Königlichen Hauses das gleiche
ündigkeitsalter gesetzt ist, nämlich die achtzehn Jahre der Thronmündigkeit, Art. 54
Anm. A. Abs. 2, oben S. 155. Es ist übrigens nicht ersichtlich, weshalb v. Rönne
und v. Schulze ihre Ansicht auf die agnatischen Regenten beschränken, statt sie auch
auf die nichtagnatischen zu erstrecken. Sie würden dabei allerdings auf das Bedenken
stoßen, daß, wenn auch — ein Alter von achtzehn Jahren vorausgesetzt — durch die
Uebernahme der Regentschaft Großjährigkeit bewirkt würde, zur Uebernahme der Regent-
schaft eben Handlungsfähigkeit, d. h. Großjährigkeit erforderlich wäre, letztere also schon
vorher vorhanden sein müßte.
e) Es ist gefragt worden, ob ein Regent beim Eintritt der Regierungsfähigkeit