206
IOr
I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 63.
Gesetzes und fällt daher unter die Beschlußnahme auch dann, wenn ihrer bei der
ganzen Verhandlung gar keine Erwähnung geschehen ist. Die Staatsregierung hat
dies mehrfach bestritten, weil die Verkündigung der Gesetze nach Art. 45 eine Prä-
rogative der Krone ist, aber sie hat bei dieser Bestreitung den Akt der Verkündigung
mit dem Inhalt des zu Verkündigenden verwechselt. Das Interesse des Landtages
an dieser Frage liegt darin, daß in keinem Falle die Verkündigungsformel eines
Gesetzes eine Fassung erhalten darf, durch welche die Bedeutung des verfassungs-
mäßigen Rechtes der Kammern zur Mitwirkung bei der Gesetzgebung irgendwie ge-
schmälert, also etwa diese Mitwirkung selbst und die Zustimmung der Kammern zu
dem betreffenden Gesetze mit Stillschweigen übergangen wird. Am allerwenigsten
kann dies zweifelhaft sein, wenn der Eingang dispositive Bestimmungen, z. B. Zeit-
und Raumbeschränkungen der Wirksamkeit des Gesetzes enthält; namentlich die
Raumbeschränkungen werden vorzugsweise in der Eingangsformel angeordnet (z. B.
die Eingangsformel der Grundbuchordnung vom 5. Mai 1872, Ges.-Samml.
S. 446: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen 2c., verordnen
für die Landestheile, in welchen die Hypothekenordnung vom 20. Dezember 1783
gilt, mit Ausnahme der Gebietstheile der Provinz Hannover, unter Zustimmung
beider Häuser des Landtages Unserer Monarchie, was folgt“).
u. Das Theilnahmerecht der Kammern bezieht sich ferner nicht bloß auf den materiellen
Inhalt, sondern auch auf die formelle Fassung, die Redaktion des Gesetzes. Die
Kammern üben dieses Recht in der Weise aus, daß der vollständig berathene Gesetz-
entwurf mit allen darüber gefaßten Beschlüssen und mit sämmtlichen Anträgen,
welche einer besonderen Redaktion bedürfen, an die betreffende Kommission, bezw.
an das Bureau des betreffenden Hauses, zur schließlichen Redaktion übergeben wird,
deren Bericht dann zur Plenarberathung gelangt. Bei dieser darf eine Diskussion
über die Fassung stattfinden, nach deren Beendigung, bezw. nach Erledigung der
etwaigen Erinnerungen über den Gesetzentwurf im Ganzen abgestimmt wird. Von
den gegenwärtigen Geschäftsordnungen enthält die für das Abgeordnetenhaus keine
ausdrücklichen Bestimmungen darüber, wohl aber die für das Herrenhaus. Wenn, so ver-
fügt § 61 der letzteren, das Haus nach Feststellung seiner Beschlüsse eine besondere
Redaktion vor der Gesammtabstimmung für nothwendig erachtet, so hat, wenn eine
erste und zweite Berathung oder eine einmalige oder eine wiederholte Schluß-
berathung stattgefunden hat, der Präsident in der ihm geeignet scheinenden Weise,
in dem Falle aber, daß der Plenarberathung Vorberathung durch eine Kommission
vorhergegangen, diese die Redaktion zu bewirken. Die Redaktion wird gedruckt, und
sodann, falls nicht das Haus eine frühere Abstimmung beschließt, drei Tage nach
der Vertheilung über das Ganze abgestimmt. Innerhalb der bis zur Gesammt-
abstimmung festgesetzten Frist können Bemerkungen, welche eine Nichtübereinstimmung
der Redaktion mit den gefaßten Beschlüssen zum Gegenstande haben oder die Fassung
betreffen, als Abänderungsanträge schriftlich eingereicht werden. Erhalten dieselben
die Unterstützung von fünfzehn Mitgliedern, so sind sie zur Diskussion und Ent-
scheidung des Hauses zu bringen. Bei der Diskussion ist ein Zurückgehen auf den
materiellen Inhalt der Vorlage unzulässig.
Der Staatshaushaltsetat kann, nachdem er von dem Abgeordnetenhause angenommen,
von dem Herrenhause nur im Ganzen angenommen oder abgelehnt werden. Im
Uebrigen ist das Recht der Beschlußfassung für beide Kammern ein gleiches.
Nach Art. 80 der Verfassungsurkunde kann keine der beiden Kammern einen Beschluß
fassen, wenn nicht die beschlußfähige Zahl der Mitglieder versammelt ist, und zwar
erfolgt der Beschluß nach absoluter Stimmenmehrheit. Die beschlußfähige Zohl be-
trägt für das Abgeordnetenhaus die Mehrheit der gesetzlichen Anzahl seiner Mit-
lieder, J. Z. wenigstens 217, für das Herrenhaus 60 Mitglieder.
Kach Art. 107 muß jedes Gesetz, durch welches die Verfassung abgeändert werden
soll, zwei Abstimmungen unterliegen, zwischen welchen ein Zeitraum von wenigstens
einundzwanzig Tagen liegt.
Artikel 63.
Nur in dem Falle, wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen
Sicherheit, oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Nothstandes es
dringend erfordert, können, insofern der Landtag nicht versammelt ist,