I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 64. 213
Artikel 64.
Dem Könige, so wie jeder Kammer, steht das Recht zu, Gesetze
vorzuschlagen.
Gesetzesvorschläge, welche durch eine der Kammern oder den
König verworfen sind, können in derselben Sitzungsperiode nicht
wieder vorgebracht werden.
A. Das Recht, Gesuche oder Anträge auf Erlassung, authentische Interpretation, Aufhebung
oder Abänderung der Gesetze an das Staatsministerium bezw. die Krone gelangen zu
lassen, steht dem Landtage zu schon auf Grund des Petitions= und Adressrechtes (Artikel
32, 81). Das weitergehende Recht der Initiative im engeren Sinne, d. h. einen Gesetz-
entwurf vorlegen, wie es der alte Moser nennt: „den Aufsatz machen g; dürfen“, ist
nach Deutschem Staatsrecht ursprünglich ein Recht der Krone, ist vor 1848 den Land-
ständen nur im Weimar'schen Grundgesetz von 1816 § 117 und im Meiningen'schen von
1822 § 86 verstattet gewesen, ihnen seitdem in der Mehrzahl der Deutschen Bundes-
staaten ertheilt und auch für Preußen durch Art. 64 bezüglich Gesetze aller Art, auch
verfassungsändernde, jedoch mit zwei Beschränkungen ausgesprochen worden. Nämlich
1. nach Art. 62 Abs. 3 (lund Anm. D. 1 S. 204) sind Finanzgesetzentwürfe und
Staatshaushaltsetats von der Regierung zuerst dem Hause der Abgeordneten vorzulegen.
Ob nun Finanzgesetzentwürfe — der Etat kann der Natur der Sache nach nur von der
Regierung vorgelegt werden — auch vom Herrenhause ausgehen können, ist von der
Verfassungsurkunde nicht bestimmt ausgesprochen. Das Herrenhaus hat, weil Art. 64
seine Initiative nicht beschränke, jene Frage bejaht, das Haus der Abgeordneten aber
dieselbe verneint und demgemäß die Berathung eines aus der Initiative des Herren-
hauses hervorgegangenen Finanzgesetzentwurfel als verfassungsmäßig unstatthaft abge-
elehnt (Stenogr. Berichte 1865 Sitzung vom 14. Juni, S. 2152 bis 2157). Auch die
Regierung hat einmal durch den Finanzminister die Frage verneint (Herrenhaus 1861
Drucksachen Nr. 52 und Stenographische Berichte Bd. 2 S. 88). Damit stimmen überein
v. Rönne (Bd. 1 S. 359), v. Schulze (Bd. 2 S. 19) und G. Meyer (S. 463), wogegen
Arndt (Anm. 2 zu Art. 64, S. 128) und v. Stengel (S. 169) die Frage beiahen. In der
That ist die verneinende Antwort die richtige. Der Bestimmung des Abs. 3 Art. 62 liegt der
Gedanke zu Grunde, daß vorzugsweise im Abgeordnetenhause die Vertretung der steuer-
lichen Interessen des Landes beruhe. Es wäre nun ein eigenthümlicher Widerspruch,
wenn das Abgeordnetenhaus es ablehnen müßte, einen Gesetzentwurf von dem Herren-
hause entgegen zunehmen, falls er diesem von der Regierung vorgelegt worden, aber ihn
entgegennehmen müßte, wenn er aus der eigenen Initiative des Herrenhauses hervor-
gegangen wäre. Auch würde dies nichts Anderes bedenten, als daß die Umgehung einer
Bestimmung der Verfassungsurkunde, des Art. 62 Abs. 3, durch die Verfassungsurkunde
selbst, nämlich durch Art. 64 Abs. 1, sanktionirt wird. Einen solchen Widerspruch oder
gar eine solche Sanktionirung frauduloser Gesetzesumgehungen darf dem Gesetzgeber
ohne stringenteste Gründe nicht zugemuthet werden, und diese stringenten Gründe fehlen
hier gänzlich. Als Resultat ergiebt sich also, daß das Herrenhaus bezüglich der Finanz-
esetze der Initiative entbehrt, wogegen ihm natürlich nicht benommen ist, auch in Finanz-
fragen Petitionen und Anträge zu berathen und darüber Beschlüsse zu fassen, also sogar
ganze Finanzgesetze zu entwerfen und der Staatsregierung zur verfassungsmäßigen Be-
handlung zu überreichen.
2. Gesetzesvorschläge, welche durch eine der Kammern oder den König verworfen
worden sind, können in derselben Sitzungsperiode nicht wieder vorgebracht werden. Durch
diese Bestimmung soll verhütet werden, denselben Gegenstand wiederholt in einer und
derselben Sitzungsperiode zur Berathung gelangen zu lassen, eines Theils um einer
ungebührlichen Verschwendung von Zeit und Arbeitskräften vorzubengen, und anderen
Theils um den politischen Leidenschaften nicht Thor und Thür zu öffnen, sondern der
Aufregung eine gewisse Ruhe folgen zu lassen, auch einen auf Ermüdung der Kammern
berechneten indirekten Zwang anszuschließen. Unter einem verworfenen Vorschlag ist
aber nur ein seinem ganzen Inhalte nach verworfener zu verstehen, da ein Vorschlag,
an welchem nur Eines oder das Andere verworfen ist, als ein mit Aenderungen ange-
nommener betrachtet werden muß.
Die hierin liegende Beschränkung der Initiative trifft nicht bloß den Landtag,