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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art 64.
sondern auch die Krone, doch ist Letztere insofern günstiger gestellt, als sie, sobald die
Gefahr der Verwerfung droht, den von ihr vorgebrachten Gesetzesvorschlag zurückziehen
kann, um ihn demnächst in derselben Sitzungsperiode, sei es in derselben, sei es in der
anderen Kammer, zu erneuern. Ist der Gesetzesvorschlag in der einen Kammer verworfen
worden, so darf er auch in der anderen Kammer nicht wieder vorgebracht werden, da
die Letztere ihn ja nach stattgehabter Berathung und Beschlußnahme an jene übersenden
müßte. Ob der abgelehnte Gesetzesvorschlag von der Krone, von der Kammer oder von
einem einzelnen Mitgliede ausgegangen ist, macht keinen Unterschied. Uebrigens müssen
nach der Geschäftsordnung für das Herrenhaus § 27 und für das Haus der Abgeordneten
§ 22 die von Mitgliedern des Hauses ausgehenden Anträge von mindestens fünfzehn
Mitgliedern unterzeichnet sein. ·
Von dem Staatsministerium und der Kommission des Abgeordnetenhauses für
Verfassungsangelegenheiten (Stenogr. Berichte 1855/1856 Bd. 3 8 1051 und Bd. 5
S. 378) ist behauptet worden, daß Abs. 2 sich nur auf die von dem König oder einer
der Kammern, nicht auch auf die von einzelnen Mitgliedern ausgehenden Gesetzesvor-
schläge bezöge. Die letzteren seien überhaupt keine Gesetzesvorschläge im Sinne des
Art. 64, indem dieser Artikel nur dem Könige und den Kammern, nicht aber einzelnen
Mitgliedern der Kammern das Recht zu Gesetzesvorschlägen zugestehe; sie seien vielmehr
nur Anträge an das betreffende Haus, seinerseits einen Gesetzesvorschlag zu machen.
Die Verwerfung eines solchen Antrages von Seiten des Hauses, in welchem er gestellt
worden, sei auch nicht bloß formell, sondern wesentlich verschieden von der Verwerfung
eines Gesetzesvorschlages eines der drei Faktoren der Gesetzgebung selbst durch einen
anderen Faktor, denn es seien die triftigsten Gründe denkbar, den Antrag eines Mit-
gliedes auf einen Gesetzesvorschlag zu verwerfen, gleichwohl aber einen Gesetzesvorschlag
gleichen Inhalts des Königs oder eines der Häuser anzunehmen. Die entgegengesetzte
Auslegung des Artikel 64 würde dahin führen, daß ein einzelnes Mitglied eines der
Häuser durch einen unzeitigen oder übel motivirten Antrag auf einen Gesetzesvorschlag
den König und beide Häuser um das Recht bringen könnte, ein Gesetz gleichen Inhaltes
in derselben Sitzungsperiode vorzulegen.
Diese Ausführung, wie beachtenswerth sie immerhin erscheinen mag, beruht auf
einer unvollständigen Anschauung. Zunächst unterscheidet Absatz 2 nicht, von wem der
Gesetzesvorschlag vorgebracht ist, und so muß die Bestimmung gelten, einerlei, ob es der
König, eines der Häuser oder einzelne Mitglieder waren. Sodann ist unter dem von
Art. 64 in's Auge gefaßten Gesetzesvorschlag nicht der nackte Vorschlag, einmal
über diese oder jene Matele ein Gesetz zu machen, sondern ein in herkömmlicher Weise
völlig ausgearbeiteter Gesetzesentwurf zu verstehen. Die Regierung hat Mittel zur Hand,
das in jener Vorlage enthaltene Präjudiz für den von ihr selbst beabsichtigten Entwurf
u vereiteln. Sie kann nämlich bei der Berathung jenes Entwurfes die von ihr beab-
schtigten Abweichungen in Gestalt von Amendements zur Berathung und Beschlußfassung
bringen lassen oder kann unter Hinweis auf ihre Absicht, selbst einen Entwurf einzu-
bringen, die betr. Kammer veranlassen, über jenen Entwurf zur Tagesordnung überzu-
gehen. Auf diese Weise läßt sich jedenfalls für die Krone die in der Initiative einzelner
Kammermitglieder unleugbar liegende Mißlichkeit umgehen. Ist aber dies möglich, so
ist nicht zu verkennen, daß die Verfassungsurkunde nicht beabsichtigt haben kann, den
einzelnen Mitgliedern ein Recht zu geben, welches sie der Krone und dem Landtage ver-
sagt, nämlich denselben Gesetzesvorschlag in derselben Session mehrfach einzubringen.
Hiergegen sprechen dieselben Gründe, welche gegen die wiederholte Einbringung überhaupt
sprechen, und gleichwohl müßte es der Fall gewesen sein, wenn die von einzelnen
Mitgliedern eingebrachten Gesetzesvorschläge nicht in der Bestimmung des Absatz 2 be-
griffen wären.
Aus dem Recht der Initiative folgt, daß derjenige, welcher einen Gesetzesvorschlag ein-
gebracht hat, ihn wiederum zurückziehen darf. Hierbei ist jedoch zu unterscheiden, von
wem der Gesetzesvorschlag ausgegangen ist. Ist er ausgegangen von Mitgliedern einer
Kammer, so kann er zurückgezogen werden nur so lange, bis er durch Beschluß des be-
treffenden Hauses entweder angenommen oder verworfen ist. Die Geschäftsordnung für
das Herrenhaus schließt sich dem durch die Bestimmung ihres § 28 an, daß der Vor-
schlag oder Antrag „in jedem Stadium der Plenarberathung“ zurückgezogen werden
kann, also jedenfalls nicht mehr nach beendeter Abstimmung. Die Geschäftsordnung für
das Haus der Abgcordneten verfügt in § 24 einfach: „jeder Antrag kann zurückgezogen,
jedoch von jedem anderen Mitgliede wieder ausgenommen werden“, es ist aber klar, daß
der Antrag durch die Beschlußfassung, diese sei eine annehmende oder ablehnende, erledigt