Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 75. 225 
Artikel 75. 
Die Kammern werden nach Ablauf ihrer Legislaturperiode neu 
gewählt. Ein Gleiches geschieht im Falle der Auflösung. In beiden 
Fällen sind die bisherigen Mitglieder wieder wählbar. 
A. Nach dem Gesetz, betreffend die Bildung der Ersten Kammer, vom 7. Mai 1853 (An- 
merkung A. zu Art. 65 bis 68, oben S. 216) ist die frühere Erste Kammer, das jetzige 
Herrenhaus, keine Wahlkammer mehr, sondern besteht nur aus Mitgliedern, welche vom 
Könige mit erblicher Berechtigung oder auf Lebenszeit berufen sind, so daß auch eine 
Auflösung nicht mehr stattfinden kann, sondern, wenn das Abgeordnetenhaus aufgelöst 
wird, nach Art. 77 Abs. 3 das Herrenhaus gleichzeitig vertagt wird. Art. 75 findet da- 
br nur noch Anwendung auf das Abgeordnetenhaus. 
ie Wahlen der Wahlmänner durch die Urwähler finden an Einem Tage, und ebenso 
finden die Wahlen der Abgeordneten durch die Wahlmänner an Einem Tage gleichzeitig 
im ganzen Lande statt; beide Tage werden von dem Minister des Innern festgesetzt. 
Für die Frage, auf wann der Tag der Wahl der Abgeordneten festzusetzen ist, muß man 
die allgemeinen regelmäßigen, die allgemeinen anßerordentlichen und die Einzelwahlen 
in bestimmten Wahlkreisen während des Laufes der Legislaturperiode unterscheiden. 
a) Die allgemeinen regelmäßigen Wahlen dürfen nicht vor, sondern erst nach Ab- 
lauf der Legislaturperiode des bisherigen Landtages stattfinden. Da die Wahl der 
Wahlmänner durch die Urwähler ein Theil des Wahlaktes ist, so gilt dies auch für diese 
Wahl, nicht bloß für die Wahl der Abgcordneten. Nach § 18 bezw. § 19 des Wahl- 
reglements vom 18. September 1893 haben die gewählten Wahlmänner, falls sie nicht 
im Urwahltermin anwesend sind, eine dreitägige Frist zur Erklärung über Aunahme und 
Ablehnung der Wahl, und im Fall der Ablehnung muß die Abtheilung auf's Neue 
wählen. Außerdem findet die Wahl der Abgeordneten für jeden Wahlkreis an einem 
und demselben gesetzlich bestimmten Orte, dem Wahlorte, statt, wohin der Wahlkommissar, 
dem die Protokolle über die Urwahlen von den Wahlvorständen der einzeluen Urwahl- 
bezirke eingereicht werden, die Wahlmänner mittels schriftlicher Einladung zu berufen 
at. Da nach Art. 76 die Einberufung des Landtages bis spätestens zum 16. Januar 
ittags 12 Uhr zu erfolgen hat, so ist der 15. Januar jedesmal das späteste Datum 
für die Wahl der Abgeordneten. Näher läßt sich der Tag an der Hand der gesetzlichen 
Bestimmungen nicht fixiren. 
b) Im Falle der Auflösung müssen nach Art. 51 iunerhalb eines Zeitraums von 
sechzig Tagen nach der Auflösung die Wähler und innerhalb eines Zeitraums von neunzig 
Tagen die Kammern versammelt werden, also die Urwahlen spätestens am sechzigsten, 
die zint der Abgeordneten spätestens am neunundachtzigsten Tage nach der Auslhsung 
stattfinden. 
c) Wenn in den Fällen ad a) und b) eine Doppelwahl vorliegt, also nur für 
den einen der mehreren Wahlkreise ein Abgeordneter vorhanden ist, für den anderen oder 
die anderen aber eine Ablehnung stattfindet, oder wenn der Gewählte überhaupt die An- 
nahme der Wahl ablehnt, oder wenn die Wahl auf einen nicht Wählbaren, z. B. einen 
Nichtpreußen gefallen ist, so ist nach § 30 bezw. § 31 des Wahlreglements sofort eine 
Nachwahl zu veranlassen. 
) Wird während der Dauer der Legislaturperiode aus irgend einem Grunde ein 
Mandat erledigt, so macht — wenn dies während einer Ssssion geschieht — nach § 70 
der Geschäftsordnung der Präsident des Abgeordnetenhauses dem Minister des Innern 
davon Anzeige, damit dieser „in der kürzesten Zeit“ die Neuwahl veranlaßt. Entsprechend 
sind durch ein Cirkularreskript des Ministers des Innern vom 2. Februar 1875 (Ver- 
waltungs-Minist.-Bl. S. 33) die Regierungspräsidenten angewiesen, dem Minister von 
jedem eintretenden Todesfalle eines in ihrem Bezirke gewählten oder wohnhaften Ab- 
geordneten, sowie von jeder zu ihrer Keuntniß gelangten Niederlegung eines Mandats 
unter Angabe des Todestages bezw. des Tages der Mandatsniederlegung unverzüglich 
Anzeige zu machen, damit die Ersatzwahl rechtzeitig angeordnet werden könne. Außer- 
dem haben, wenn ein Mandat niedergelegt oder vom Abgeordnetenhause für erloschen 
oder von Letzterem eine Wahl für ungiltig erklärt ist, nach einem Cirkularreskript des 
Ministers des Innern vom 18. Mai 1875 (a. a. O. S. 80) die Regierungspräsidenten, 
sobald sie den Auftrag zur Herbeiführung der dadurch nothwendig gewordenen Ersatzwahl 
erhalten, die Polizeibehörde des Wohnorts des betr. Abgeordneten davon in Kenntniß 
zu setzen, daß Letzterer aufgehört habe, Mitglied des Abgeordnetenhauses zu sein. 
Schwary, Preußische Versassungsurkunde. 15
	        
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