I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 79. 80. 235
Zwei Fälle des Verlustes der Mitgliedschaft sind den Mitgliedern beider Häuser
gemeinsam. Die Mitgliedschaft zum Landtage überhaupt geht nämlich verloren, wenn
dem Mitgliede durch rechtskräftiges richterliches Urtheil die bürgerlichen Ehrenrechte
aberkannt sind (88 31, 33, 34 Nr. 4, 36 des Reichsstrafgesetzbuches), und wenn es zum
Präsidenten oder Mitglied der Oberrechnungskammer ernannt wird.
Die Entscheidung darüber, ob ein Mitglied seine Mitgliedschaft verloren hat,
steht bei demjenigen Hauf= welchem es bisher angehort. da das Rech der Legitimations-
prüfung nicht bloß das Recht der Entscheidung darüber umfaßt, ob dieselbe anfänglich
vorhanden gewesen ist, sondern auch darüber, ob sie noch fortbesteht.
Artikel 79.
Die Sitzungen beider Kammern sind öffentlich. Jede Kammer
tritt auf den Antrag ihres Präsidenten oder von zehn Mitgliedern
zu einer geheimen Sitzung zusammen, in welcher dann zunächst über
diesen Antrag zu beschließen ist.
A. Die Geschäftsordnungen für das Herrenhaus § 33, für das Haus der Abgeordneten § 37
wiederholen für die Plenarsitzungen lediglich die Bestimmung dieses Artikels. Nach den
§§ 66, 67 bezw. 67, 68 wird, wer von der Tribüne Zeichen des Beifalles oder Miß-
fallens giebt oder sonst die Ordnung oder den Anstand verletzt, auf der Stelle entfernt,
und kann, wenn eine störende Unruhe auf der Tribüne entsteht, der Präsident anordnen,
daß Alle, die sich zur Zeit darauf befinden, die Tribüne räumen. Den Berathungen
der Kommissionen dürfen nach §§ 19 bezw. 28 die Mitglieder des Hauses bei-
wohnen, wofern nicht, im Herrenhause von der Kommission selbst, im Abgeordnetenhause
auf Antrag der Kommission oder sonst nach Maßgabe des § 37 von dem Hause die
Ausschließung der Oeffentlichkeit beschlossen wird. Den Ministern und den zu deren
Vertretung abgeordneten Staatsbeamten kann der Zutritt trotz des Ausschlusses der
Oeffentlichkeit nicht verwehrt werden, da sie nach Art. 60 Abs. 1 der Verfassungsurkunde
auf ihr Verlangen zu jeder Zeit gehört werden müssen.
B. Das Reichsstrafgesetz buch bestimmt in § 12:
Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen eines Landtages oder einer Kammer
eines zum Reich gehörigen Staats bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.
Die Berichte können mündliche oder durch die Presse verbreitete, die Verhandlungen
öffentliche oder nicht öffentliche sein, wofern jene nur wahrheitsgetreu sind. Ist dies der
Fall, so sind sie frei von jeder Verantwortlichkeit, diese möge auf Reichsrecht oder Landes-
recht, auf Straf= oder Disziplinargesetz gestützt werden, und ebensowenig kann auf sie,
soweit sie schriftlich oder gedruckt sind, das sog. objektive Verfahren des § 41 des Reichs-
strafgesetzbuches (Unbrauchbarmachung aller Exemplare, sowie der zu ihrer Herstellung
bestimmten Platten und Formen) Anwendung finden. Nach der überwiegenden Meinung
der Kriminalisten bezieht sich übrigens der § 12 nur auf die Plenarverhandlungen, nicht
auch auf die Verhandlungen der Kommissionen, Ausschüsse und Abtheilungen. Ob ein
Bericht wahrheitsgetreu sei, ist quaestio facti.
Die nach § 8 bezw. 13 der Geschäftsordnungen von den Schriftführern aufzu-
nehmenden Protokolle über die Plenarsitzungen, über welche die §§ 36 bis 39, bezw. 39
bis 42 nähere Anordnungen treffen, werden nicht gedruckt. Ebensowenig die Protokolle
über die Verhandlungen der Kommissionen, deren Führung nur in der Geschäftsordnung
für das Herrenhaus (8 48 Abs. 2) ausdrücklich vorgeschrieben ist. Die vollständige Ver-
öffentlichung der Plenarverhandlungen erfolgt durch den von den Schriftführern zu be-
sorgenden Druck der stenographischen Berichte, welche auch die Gesetzentwürfe und Anträge
der Mitglieder nebst den betreffenden Motiven, sowie die Berichte der Ausschüsse und
Kommissionen enthalten und auf dem Buchhändlerwege käuflich zu erlangen sind.
Artikel 80.
Keine der beiden Kammern kann einen Beschluß fassen, wenn
nicht die Mehrheit der gesetzlichen Anzahl ihrer Mitglieder anwesend