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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 81.
Art. 32 der Verfassungsurkunde spricht das Petitionsrecht allen Preußen zu, mit der
Beschränkung, daß Petitionen unter einem Gesammtnamen nur Behörden und Korpo-
rationen gestattet sind. Art. 81 Abs. 1 bestimmt, daß jede Kammer für sich, unabhängig
von der anderen, das Recht hat, Adressen, d. h. schriftliche Aeußerungen an den König
zu richten. Dieses Recht ist dem Gegenstande nach unbeschränkt. Die Adresse kann da-
zu benutzt werden, um sich der Thronrede gegenüber über den Zustand des Landes aus-
zusprechen, Wünsche in Bezug auf die Verbesserung oder Vervollständigung der Gesetz-
gebung Beschwerden über Mißbräuche in der Verwaltung oder Rechtspflege vorzutragen.
ähere Bestimmungen über die Beschlußnahme bezüglich der Adressen und ihre eventuelle
Leberreichung durch eine Deputation, deren Mitglied jedesmal der Präsident ist und
allein das Wort führt, enthalten die Geschäftsordnungen für das Herrenhaus 8§8§ 74 bis
76, für das Haus der Abgeordneten §§ 71, 72. Ein selbstverständliches Korrelat des
Adreßrechtes des Landtages bezw. der einzelnen Kammern ist die — von der ministeriellen
Verantwortlichkeit getragene — Pflicht der Krone, die Adresse entgegenzunehmen.
Abs. 2 des Art. 81 fügt für die Ausübung des Petitionsrechts die fernere Beschränkung
hinzu, daß Bittschriften oder Adressen den Kammern oder einer derselben von Niemandem
in Person, also nur auf postalischem Wege oder durch Vermittelung eines Kammermit-
gliedes überreicht werden dürfen.
Weiter hat, wie schon früher bemerkt ist (Anmerk. B. zu Art. 32, oben S. 111),
die verfassungsmäßige Unabhängigkeit der Gerichte (Art. 86) zur Folge, daß Beschwerden
gegen angeblich von den Gerichten bei der Handhabung der Justiz — der streitigen wie
der freiwilligen Gerichtsbarkeit — begangene Rechtsverletzungen nur im richterlichen
Instanzenzuge, sei es als Beschwerde im engeren Sinne gegen einfache Dekrete, sei es
als Rechtsmittel gegen Urtheile, verfolgt werden können. Die beiden Häuser des Land-
tages lassen sich solche Beschwerden wohl als Anlaß dienen, um die Heilung der ihnen
etwa zu Grunde liegenden Mängel in der bestehenden Gesetzgebung oder der Justizver-
waltung zu fordern, weisen sie aber im Uebrigen unerörtert zurück und beschränken sich
auf die Erledigung derjenigen Petitionen, deren Erledigung auch im Aufsichtswege, also
in letzter Instanz von dem Justizminister erfolgen kann. Ebenso läßt der Landtag die-
jenigen Petitionen unerörtert, welche seine Einwirkung auf das dem Könige zustehende
Recht der Begnadigung und Strafmilderung bezwecken. Endlich werden ohne weiteres
Eingehen in die merita causae diejenigen Beschwerden weggelegt, deren Beschwerdeführer
den gesetzlichen Instanzenzug der Staatsbehörden noch nicht erschöpft hat. Alle übrigen
Beschwerden werden sorgfältig geprüft und, wenn sie sich als begründet ergeben, den
le mit dem Ersuchen um Berücksichtigung, bezw. um Bewirkung der Abhülfe
überwiesen.
Die Geschäftsordnungen für das Herrenhaus §§ 15, 29 bis 31 und 80, für das
Haus der Abgeordneten §§ 26, 29, 36, 51, 74 enthalten die näheren Bestimmungen
über die geschäftliche Behandlung der eingehenden Petitionen. Für ihre Vorprüfung
existirt eine eigene Petitionskommission. Im Abgeordnetenhause werden in jeder Woche
an einem bestimmten Tage (herkömmlich der Mittwoch, der sog. Schwerinstag) an erster
Stelle die zur Erörterung im Plenum gelangenden Petitionen erledigt. Alle Petitionen
sind mit dem Ablaufe der Sitzungsperiode, in welcher sie eingebracht und noch nicht
zur Beschlußnahme gediehen sind, für erledigt zu erachten. Die Petenten erhalten über
das Schicksal ihrer Beschwerden oder Petitionen Nachricht.
. Jedes Haus hat das Recht, die an dasselbe gerichteten Schriften an die Minister zur
enntnißnahme und eventuellen weiteren Veranlassung zu überweisen, worauf die wirkliche
Uebersendung an das Staatsministerium bezw. den! eortminsster durch den Präsidenten
erfolgt. Wie aus dem Wortlaute der Bestimmung hervorgeht, sind die Minister nicht
befugt, die Annahme abzulehnen. Wohl aber sind sie, Mangels einer dies ausdrücklich
bestimmenden Vorschrift, nicht verpflichtet, ihre auf solche Ueberweisungen ergehenden
Entscheidungen dem überweisenden Hause mitzutheilen. Dagegen sind sie allerdings
zur Ertheilung einer Auskunft über die bei dem Hause eingehenden Beschwerden ver-
pflichtet, wenn das Haus mittelst einer Resolution solche verlangt. Dies geht aus dem
von der Verfassungsurkunde gebrauchten Ausdruck „kann verlangen“" unzweideutig hervor,
denn nach altem und allgemeinem Sprachgebrauche ist unter diesem Ausdruck die Ver-
pflichtung des anderen Theils, dem Verlangen nachzukommen, mit begriffen. Die Be-
stimmung hätte auch die etwas umfangreichere Formulirung erhalten können: „und diese
haben jeder Kammer auf deren Verlangen Auskunft über bei ihr eingehende Beschwerden
zu ertheilen“", ebenso wie umgekehrt z. B. Art. 84 Abs. 4 die Formulirung hätte er-
halten können: „die betreffende Kammer kann verlangen, daß jedes Strafverfahren gegen