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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 82.
Kommission erklärte sich einstimmig dahin, daß der Artikel unzweifelhaft die hier in
Anspruch genommene Befugniß gewähre und es daher keiner besonderen Bestimmung
darüber bedürfe. In der Ersten Kammer beantragte der Zentralausschuß die Streichung
des Artikels, wofür er an erster Stelle als Grund die Gefahr von Uebergriffen der
Kammern in das Gebiet der Staatsverwaltung und ausübenden Gewalt benannte. Eine
Minorität im Ausschusse hatte dagegen erklärt, daß die Kammern zur vollständigen Er-
haltung ihrer Rechte und zur Ausübung ihrer Pflichten das Untersuchungsrecht nicht
entbehren könnten und nicht lediglich auf die Mittheilungen der Staatsregierung ange-
wiesen bleiben dürften, welche möglicher Weise in einer Sache auch Partei sein könne,
und diese Ansicht der Minorität wurde von dem Plenum gebilligt. Der Vorschlag des
Ausschusses fand dabei keinen Vertheidiger, wohl aber wurde folgende Formulirung des
Artikels beantragt:
Eine jede Kammer hat die Befugniß, Kommissionen zur Feststellung thatsächlicher
Verhältnisse, welche auf die Gesetzgebung von Einfluß sind, zu ernennen, mit dem
Rechte, Sachverständige und andere Personen am Sitze der Kammern anzuhören.
Diese Formulirung wurde damit motivirt, daß durch Begrenzung der Befugnisse
der Kommissionen ihrem Gegenstande nach Mißbräuche ausgeschlossen werden sollten.
Gegen diesen Antrag wurde bemerkt, daß eine Kammer sich veranlaßt finden könne, In-
formation einzuziehen, um eine Anklage gegen die Minister zu begründen, daß zu der-
artigen Zwecken die Verfassung jedenfalls die Möglichkeit bieten müsse, daß man bei der
Bestimmung, wie sie die Verfassungaurkunde enthalte, in dieser Allgemeinheit sich voll-
kommen beruhigen und das Weitere, wie man von solchen Kommissionen Gebrauch zu
machen haben werde, der ferneren Entwickelung im praktischen Leben überlassen könne.
Der Antrag wurde daher ebenfalls abgelehnt und der Artikel unverändert angenommen.
Wenn man an der Hand dieser seiner Entstehungsgeschichte den Art. 82 unbe-
fangen prüft, sollte man es kaum für möglich halten, daß über seine Bedeutung, ins-
besondere über den Umfang der danach den Kammern, wie auch den von denselben er-
nannten Untersuchungskommissionen zustehenden Rechte abweichende Ansichten existiren.
Gleichwohl ist dies der Fall. Es herrscht nämlich ungetheilte Uebereinstimmung nur
über die beiden Punkte, daß keine Kammer das Recht hat, sich selbst, das Plenum, als
Untersuchungskommission zu konstituiren, und daß jede Kammer das Recht, Untersuchungs-
kommissionen zu ernennen, selbstständig, ohne Rücksichtnahme auf die andere Kammer, be-
sitzt. Im Uebrigen sind unter Zustimmung Arndt's (Anmerk. zu Art. 82, S. 139/1410)
gegen das Recht der Kammern bezw. der Kommissionen eine Reihe Einwendungen gel-
tend gemacht.
Zunächst ist nämlich behauptet worden, daß den Kammern nicht das Recht zu-
stehe, Maßregeln der Staatsregierung oder gar das System der Staatsverwaltung in
Betreff eines speziellen Gegenstandes oder im Ganzen einer Untersuchung zu unterwerfen
und zu diesem Behufe eine Kommission zu ernennen. Vielmehr setze die Anwendun des
Art. 82 stets voraus, daß das Haus mit dem betreffenden Gegenstande bereits, sei es
aus Veranlassung einer Regierungsvorlage, sei es durch einen ihm zur Berathung und
Beschlußfassung vorliegenden Antrag, befaßt sei und in Bezug auf einen solchen speziellen
Gegenstand für erforderlich erachte, vor seiner Entscheidung sich zuvörderst durch Auf-
klärung von Thatsachen Information zu verschaffen. Diese Behauptung ist unbe-
gründet, denn wie aus der Entstehungsgeschichte des Art. 82 hervorgeht, ist es gerade
beabsichtigt gewesen, die Befugniß der Kammern völlig unbeschränkt hinzustellen. Dieser
Absicht entspricht der klare Wortlaut des Artikels, wonach die Befugniß der beiden
Kammern gegenständlich nicht beschränkt ist, sondern sich auf alle Gegenstände erstreckt,
welche überhaupt in den Bereich der Staatsthätigkeit fallen und bezüglich deren die Ein-
setzung einer Untersuchungskommission für erforderlich erachtet wird. Die Behauptung
ist auch irrationel, da es keinen juristischen Grund giebt, aus welchem die Anregung
und Behandlung eines bestimmten Gegenstandes und Zweckes und der Antrag auf Er-
nennung einer darauf bezüglichen Untersuchungskommission stets zwei aus einander
fallende Momente sein müßten. Hiermit stimmt die praktische Anwendung des Art. 82
überein. Wiederholt sind Untersuchungskommissionen niedergesetzt worden, ohne daß be-
stimmte Regierungsvorlagen oder Anträge aus dem Schooße des Hauses dazu Veran-
lassung gegeben hätten. Auch wurde der hier zurückgewiesene Einwand von der Staats-
regierung erst dann geltend gemacht, als es sich um Kommissionen zur Untersuchung
solcher Thatsachen handelte, welche sich auf das System der Regierung bezogen, also als
es einen direkten Vorstoß gegen die Minister selbst galt, welche nunmehr ihrerseits zu