J. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 82. 241
jedem Einwande griffen, der, wenn er auch in juristischer Beziehung zweifelhaft erscheinen
mochte, doch zum Kampfmittel tauglich erschien.
Ebenso verhält es sich mit dem zweiten Einwande. Allerdings wird nicht be-
stritten, daß der Untersuchungskommission das Recht zustehe, zu ihrer Information selbst
Zeugen und Sachverständige zu verhören und von der Staatsregierung Aufklärung über
Thatsachen zu verlangen, aber ihr stehe nicht auch das Recht zu, mit den der Staats-
regierung untergedrdneten Behörden in direkte Verbindung zu treten und deren Mit-
wirkung durch Vernehmung von Zeugen oder Ermittelungen an Ort und Stelle oder
durch Ertheilung amtlicher Auskünfte, mit Umgehung der Ressortminister, zu verlangen.
Für diese in der Selbständigkeit der Exekutive wurzelnde Behauptung ist folgende Be-
gründung versucht. Eine auf Grund des Art. 82 niedergesetzte Untersuchungskommission habe
keine weitergehende Befugniß, als jede andere zur Vorberathung einer Veschlußnahme des
Hauses ernannte Kommission. Die Verfassungsurkunde habe ihr in keiner Weise und mit
keinem Worte besondere Vorrechte, namentlich nicht die Rechte einer Behörde beigelegt. Sie
könne daher keine anderen Rechte in Anspruch nehmen, als dem Hause selbst durch die
Verfassungsurkunde eingeräumt seien. Durch Art. 81 aber sei dem Hause der unmittel-
bare Verkehr mit Privatpersonen untersagt, dasselbe dürfe die ihm zugehenden Schriften
nur an die Minister überweisen, über eingehende Beschwerden nur von den Ministern
Auskunft verlangen, sei aber zum Erlaß direkter Requisitionen an die untergeordneten
Behörden und Beamten nicht befugt. Auch dieser Einwand ist nicht für zutreffend zu
erachten. Zunächst ist der Versuch, die Untersuchungskommissionen des Art. 82 auf das
Niveau der oben aufgezählten Fachkommissionen herabzudrücken, eben so verfehlt, wie
wenn man die Verfassungsurkunde herabdrücken wollte auf das Niveau der Geschäfts-
ordnungen. Die Fachkommission basirt auf der Geschäftsordnung, hat nur künftige
Beschlüsse vorzuberathen, ist ein internum corporis und ist darauf angewiesen, die ihr
erforderliche Auskunft von den Ministern zu erbitten. Die Untersuchungskommission
dagegen basirt unmittelbar auf der Verfassungsurkunde, hat Thatsachen zu untersuchen,
soll zur Information des Hauses in das Leben eintreten und ist durch keinen Buchstaben
des Art. 82 angewiesen, bei ihren Untersuchungen sich stets des Mediums der Minister
zu bedienen, welche es im Gegentheil zu ihrer Vernehmung vorladen kann. Der Hin-
weis auf Art. 81 ist verfehlt. Abgesehen von dem Widerspruche, daß das Recht der
Untersuchungskommission, selbst Zeugen und Sachverständige zu vernehmen, nicht be-
stritten und gleichwohl aus Art. 81 das Verbot des unmittelbaren Verkehrs mit Privat-
personen herangezogen wird, handelt Art. 81 nicht von einer einzelnen Kommission, son-
dern von dem Plenum, welches sich unbestrittenermaßen nicht als Untersuchungskom-
mission konstituiren darf, und sind Behörden keine Privatpersonen, sondern staatsrechtliche
Persönlichkeiten und Anstalten. Wäre die Ausführung des Staatsministeriums richtig,
so würde sich das eigenthümliche Resultat ergeben, daß nur das Plenum berechtigt wäre,
von den Ministern Auskunft zu verlangen, und nur eine Untersuchungskommission be-
rechtigt, die Minister um Vermittelung einer Requisition zu bitten, wobei, um den
Widersinn komplet zu machen, das Staatsministerium, wie Arndt meint, wie nicht ver-
pflichtet, jenem Verlangen, so auch nicht verpflicht wäre, dieser Bitte zu willfahren. Da-
bei bliebe allerdings unverständlich, zu welchem Zweck eigentlich Art. 82 in die Ver-
sassungsurkunde aufgenommen ist, er wäre neben Art. 81 vollständig tautologisch und
nichtssagend, würde jedenfalls seinen Zweck am meisten verfehlen in dem Falle, der der
wichtigste seiner Anwendung und bei seiner Entstehungsgeschichte bereits in's Auge ge-
faßt !. nämlich wenn das Material zu einer Ministeranklage gesammelt werden soll.
Dies ist um so mehr zu beachten, als der Einwand von der Staatsregierung während
der sog. Konfliktsperiode, also zu einer Zeit erhoben wurde, zu welcher, wenn der Art. 61
der Verfassungsurkunde ausgeführt gewesen wäre, das Abgeordnetenhaus die Erhebung
der Anklage gegen das damalige Ministerium beschlossen hätte. Ueberaus zutreffend
sagt daher v. Schulze (Bd. 1 §8 163 S. 614):
Es ist klar, daß Art. 82 der Volksvertretung ein ganz besonderes exzeptio-
nelles Recht einräumen will. Dem Englischen Parlamentsrecht und der Belgischen
Verfassung entnommen, macht er eine spezielle Ausnahme von dem allgemeinen
Grundsatze der Preußischen Verfassung Art. 45, daß die vollziehende Gewalt der
Krone allein zusteht. Derselbe will offenbar den auf Grund der Verfassung gebil-
deten Untersuchungskommissionen für gewisse Fälle ein singuläres Recht gewähren,
was keiner, bloß auf Grund der Geschäftsordnung gebildeten Kommission des Hauses,
ja nicht einmal dem Plenum des Haufes selbst zusteht. Der leitende Gesichtspunkt
hierfür liegt in dem Berufe der Volksvertretung. Da nach geschichtlich begründeter
Schwarh), Preußlsche Verf assungsuskunde. 16