1. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 88. 255
justizverwaltung fließenden Befugnisse werden von den Justizverwaltungen der be-
theiligten Staaten gemeinschaftlich ausgeübt. Ueber die Ausübung des Begnadi-
gungsrechts siehe Art. 49 Anm. C., oben S. 141.
Artikel 88.
Den Richtern dürfen andere besoldete Staatsämter fortan nicht übertragen werden.
Ausnahmen sind nur auf Grund eines Gesetzes zulässig.
A. Vor Emanation der Verfassungsurkunde war es den Richtern verstattet, mit der in der Regel
nur auf jederzeitigen Widerruf zu ertheilenden, höheren Genehmigung neben ihrem
richterlichen Amte noch ein anderes besoldetes Staatsamt zu übernehmen (8 8 III. 8,
§ 19 III. 13 Allgem. Gerichtsordnung; Kabinetsordre vom 13. Juli 1839, die für die
Folge rücksichtlich der Uebernahme von Nebenämtern durch Staatsbeamte zu beobachten-
den Bestimmungen betreffend, Ges.-Samml. S. 235; Kabinetsordre vom 25. Juli 1840
und Allgemeine Verfügung vom 25. August 1849, betreffend die Beziehung der Allerh.
Kabinetsordre vom 13. Juli 1839, Ges.-Samml. S. 235, wegen der zur Annahme von
Nebenämtern oder Nebenbeschäftigungen für Staatsbeamte erforderlichen Genehmigung
der Centralbehörden, auf die mittelbaren Staatsbeamten, Just.-Minist.-Bl. S. 287).
Art. 88 verbot dies für die Zukunft und ließ eine Ausnahme nur auf dem Gesetzeswege zu.
Bereits das Gesetz, betreffend die Zusätze zu der Verordnung vom 2. Januar 1849,
über die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit und des eximirten Gerichtsstandes,
sowie über die anderweite Organisation der Gerichte, vom 26. April 1851 Art. XV. 3
(Ges.-Samml. S. 181) gestattete, daß ordentliche Professoren der juristischen Fakultät
bei einer inländischen Universität zugleich etatsmäßige Mitglieder eines jeden Gerichts,
und Richter zugleich Professoren der juristischen Fakultät einer Universität sein können. Die
Staatsregierung empfand es allgemein als lästig, daß sie durch Art. 88 gehindert war,
in gewissen Fällen, in welchen dies für das dienstliche Interesse nützlich sein konnte,
richterlichen Beamten Nebenämter zu übertragen, und sie hielt es im Interesse des
Richterstandes für wünschenswerth, den früheren Rechtszustand wiederherzustellen und
dadurch eine Erhöhung des Einkommens karg besoldeter Richter zu ermöglichen. So
erging das
Gesetz, betreffend die Aufhebungdes Artikels8 der Verfassungs-
urkunde vom 31. Januar 1850. Vom 30. April 1856. (Ges.-Samml. S. 297.)
Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von
Preußen 2c. verordnen, mit Zustimmung beider Häuser des Landtages
Unserer Monarchie, was folgt:
Einziger Artikel.
Der Artikel 88 der Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 ist aufgehoben.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem
Königlichen Insiegel.
Gegeben Charlottenburg, den 30. April 1856.
(L. S.) Friedrich Wilhelm.
v. Manteuffel. v. d. Heydt. Simons. v. Raumer. v. Westphalen.
v. Bodelschwingh. Graf v. Waldersee. Für den Minister für die landwirth-
schaftlichen Arbeiten: v. Manteuffel.
Sodann bestimmte noch die Verordnung über die Trennung der Rechtspflege
von der Verwaltung, die Aufhebung der Privatgerichts barkeit und des
eximirten Gerichtsstandes, sowie über die Gerichtsverfassung in den
Herzogthümern Schleswig und Holstein vom 26. Juni 1867 in
§ 2 Abf. 2.
Den auf den Westseeinseln Sylt, Föhr, Nordstrand und Pellworm angestellten
Justizbeamten können jedoch bis auf Weiteres mit Genehmigung des Justizministers
zugleich Verwaltungsgeschäfte übertragen werden.
Dagegen gehört nicht hierher die Vorschrift des Einführungsgesetzes zum Ge-
richtsverfassungsgesetze vom 27. Januar 1877 in
84.
Durch die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Zuständigkeit
der Behörden wird die Landesgesetzgebung nicht gehindert, den betreffenden Landes-
behörden jede andere Art der Gerichtsbarkeit, sowie Geschäfte der Justizverwaltung