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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 92.
weitere Verfahren die 88 455 bis 458 der Strafprozeßordnung entsprechende
Anwendung.
* 6 Abft. 2.
Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Bestimmungen:
3. über das Verfahren im Verwaltungswege bei Uebertretungen, wegen deren
die Polizeibehörden zum Erlaß einer Strafverfügung befugt sind, und bei Zu-
widerhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben
und Gefälle, insoweit nicht die §§ 453, 454, 455 und 459 bis 463 der Straf-
prozeßordnung abändernde Bestimmungen treffen.
1. Nach § 101 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 (Reichs-Gesetzbl.
S. 409) ist in den Fällen der s§§ 81 Abs. 1. 84, 93, 99 des Gesetzes und ebenso ist
nach § 8 des Gesetzes, betreffend die Verpflichtung Deutscher Kauffartheischiffe zur Mit-
nahme hilfsbedürftiger Seeleute, vom 27. Dezember 1872 (Reichs-Gesetzbl. S. 432) wegen
Nichterfüllung der durch das Gesetz auferlegten Verpflichtung das Seemannsamt zum
Erlaß eines Strafbescheides befugt, gegen welchen der Beschuldigte innerhalb einer zehn-
tägigen Frist auf gerichtliche Entscheidung antragen kann.
2. Wer die Polizeiverwaltung in einem bestimmten Bezirke auszuüben hat, ist
befugt, wegen der in diesem Bezirke verübten, in seinen Verwaltungsbereich fallenden
Uebertretungen die Strafe durch Verfügung festzusetzen, sowie eine etwa verwirkte Ein-
ziehung zu verhängen. Die festzusetzende Geldstrafe darf den Betrag von dreißig Mark,
die Haft, auch wenn sie an die Stelle einer nicht beizutreibenden Geldstrafe tritt, die
Dauer von drei Tagen nicht überschreiten. Gegen die Verfügung ist binnen einer Woche
der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässig. Siehe: Strafprozeßordnung §§ 453
bis 458 und Gesetz, betreffend den Erlaß polizeilicher Strafverfügungen, vom 23. April
1883 (Ges.-Samml. S. 65).
3. Die Verwaltungsbehörden sind befugt, wegen Zuwiderhandlungen gegen die
Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle Geldstrafen durch Straf-
bescheide festzusetzen, gegen welche binnen einer Woche auf gerichtliche Entscheidung an-
getragen werden kann.
Siehe: Strafprozeßordnung §§ 459 bis 169;
Gesetz, betreffend die Untersuchung und Bestrafung der Zollver-
gehen, vom 23. Januar 1838 (Ges.-Samml. S. 78);
Gesetz über das Postwesen des Deutschen Reiches vom 28. Oktober
1871, 8§ 34 ff. (Reichs-Gesetzbl. S. 347);
Vergleiche auch: Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891 70;
Gewerbesteuergesetz vom 24. Juni 1891 § 73:
Ergänzungssteuergesetz vom 14. Juli 1893 § 46;
Kommnnalabgabengesctz vom 14. Juli 1893 §F 81.
Artikel 92.
Es soll in Preußen nur Ein oberster Gerichtshof bestehen.
Zur Zeit der Emanation der Verfassungsurkunde bestanden in Preußen neben
einander zwei oberste Gerichtshöfe, nämlich der Rheinische Revisions- und Kassationshof
für das Gebiet des Rheinischen Rechts und den Bezirk des vormaligen Justizsenats zu
Ehrenbreitstein (den sog. OÖstrhein) und das Geheime Obertribunal für die übrige
Monarchie mit Ausnahme der Hohenzollernschen Fürstenthümer, für welche als oberster
Gerichtshof das Württembergische Obertribunal zu Stuttgart sungirte. Auf diesen Zu-
stand beziehen sich dauernd der Art. 92 und transitorisch der Art. 116.
Zunächst wurde durch die Verordnung, die Regulirung der oberen richterlichen
Instanzen für die Fürstenthümer Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen
betreffend, vom 4. Juli 1850 (Ges.-Samml. S. 347; über die Genehmigung dieser Ver-
ordnung Seitens des Landtages siehe Bekanntmachung vom 21. März 1851, Ges.=
Samml. 36) das Geheime Obertribunal zum obersten Gerichtshof für die genannten
beiden Fürstenthümer bestellt. Sodann erfolgte durch das Gesetz, betreffend die Ver-
einigung der beiden obersten Gerichtshöfe, vom 17. März 1852 (Ges.-Samml. S. 73)
die Vereinigung des Rheinischen Revisions= und Kassationshofes und des Geheimen
Obertribunals zu Einem obersten Gerichtshofe für die ganze Monarchie unter dem Namen
Obertribunal. Die Bestimmung des Art. 92 wurde allerdings nicht strikte eingehalten.