I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 92. 267
Abgesehen davon, daß das Jadegebiet erst durch das Gesetz, betreffend den Rechtszustand
des Jadegebietes, vom 23. März 1873 und die Verordnung, die Gerichtsverfassung des
Jadegebiets betreffend, vom 23. März 1873 (Ges.-Samml. S. 107, 120) der Preußischen
Gerichtsorganisation einverleibt wurde, wurde für die durch die Ereignisse des Jahres 1866
erworbenen Landestheile mit Ausnahme des Gebietes der ehemaligen freien Stadt Frank-
furt, des ehemaligen Hessen--Homburgischen Oberamtsbezirks Meisenheim und der ehe-
maligen Bayerischen Enklave Kaulsdorf durch die Verordnung, betreffend die Errichtung
eines obersten Gerichtshofes für die durch das Gesetz vom 28. September 1866 und die
beiden Gesetze vom 24. Dezember 1866 der Preußischen Monarchic einverleibten Landes-
theile, mit Ausnahme des Gebietes der vormaligen freien Stadt Frankfurt, des vor-
maligen Oberamtsbezirks Meisenheim und der Enklave Kaulsdorf, vom 27. Juni 1867
ein gemeinschaftlicher oberster Gerichtshof mit der Benennung Oberappellationsgericht
errichtet. Die Vereinigung dieses Oberappellationsgerichtes mit dem Obertribunal blieb
nach § 1 der Verordnung, einem besonderen Gesetze vorbehalten, erfolgte aber erst dur
das Gesetz, betreffend die Vereinigung des Oberappellationsgerichts mit dem Obertribunal,
vom 6. Februar 1874 (Ges.-Samml. S. 19) am 1. April 1874.
In Folge der Reichsiustizgesetzgebung ist durch § 12 des Ausführungsgesetzes
zum Deutschen Gerichtsverfassungsgesetze vom 24. April 1878 das Obertribunal zum
1. Oktober 1879 aufgehoben worden.
Für die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit ist gegenwärtig das oberste Gericht
das Reichsgericht. Dasselbe ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zuständig für die Ver-
handlung und Entscheidung über die Revision gegen die Endurtheile und die Beschwerden
gegen die Entscheidungen der Oberlandesgerichte, in Strafsachen für die Untersuchung
und Entscheidung in erster und letzter Instanz in den Fällen des Hochverraths und
des Landesverraths, insofern diese Verbrechen gegen den Kaiser oder das Reich gerichtet
sind, und für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel der Revision
gegen Urtheile der Strafkammern in erster Instanz, insoweit nicht die Zuständigkeit der
Oberlandesgerichte begründet ist, und gegen Urtheile der Schwurgerichte (Gerichtsverfassungs-
gesetz §§ 135, 136). Die Oberlandesgerichte sind in Strafsachen zuständig für die Verhandlung
und Entscheidung über das Rechtsmittel der Revision gegen Urtheile der Strafkammern in
der Berufungsinstanz und, wenn die Revision ausschließlich auf die Verletzung einer in den
Landesgesetzen enthaktenen Rechtsnorm gestützt wird, auch gegen Urtheile der Strafkammern
in erster Instanz, ferner für das Rechtsmittel der Beschwerde gegen strafrichterliche Entschei-
dungen erster Instanz, soweit nicht die Zuständigkeit der Strafkammern begründet ist, und
gegen Entscheidungen der Strafkammern in der Beschwerdeinstanz und Berufungsinstanz
(Gerichtsverfassungsgesetz § 123). Nun kann nach § 9 des Einführungsgesetzes zum Ge-
richtsverfassungsgesetze durch die Gesetzgebung eines Bundesstaates, in welchem mehrere
Oberlandesgerichte errichtet werden, die Verhandlung und Entscheidung der zur Zu-
ständigkeit der Oberlandesgerichte gehörenden Revisionen und Beschwerden in Strafsachen
ausschließlich einem der mehreren Oberlandesgerichte zugewiesen werden. Von dieser
Befugniß hat der Preußische Gesetzgeber Gebrauch gemacht. Nach § 50 des Ausführungs-
gesetzes zum Deutschen Gerichtsverfassungsgesetze ist nämlich das Oberlandesgericht in
Berlin — das Kammergericht — ausschließlich zuständig für die Verhandlung und Ent-
scheidung über die nicht zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehörenden Revisionen gegen
Urtheile der Strafkammern in erster Instanz, sowie über die Revisionen gegen Urtheile
der Strafkammern in der Berufungsinstanz und über alle Beschwerden gegen Entschei-
dungen der Strafkammern, auch in diesen letzteren beiden Fällen jedoch mit der Be-
schränkung, wenn eine nach Landesrecht strafbare Handlung den Gegenstand der Unter-
suchung bildet. Das Kammergericht nimmt also insoweit sachlich die Stelle des obersten
Gerichtshofes ein (das sog. kleine Obertribunal).
Noch mehr ist dies der Fall auf dem Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit.
Durch die §§ 26 bis 31, 41, 49 des Ausführungsgesetzes zum Deutschen Gerichtsver-
fassungsgesetze ist den ordentlichen Gerichten die Ausübung der freiwilligen Gerichts-
barkeit übertragen. Für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel in
den Angelegenheiten, welche den Amtsgerichten zugewiesen sind, sind die Landgerichte
uständig, gegen deren Entscheidungen das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde statt-
indet (§ 40). Die Verhandlung und Entscheidung über dieses Rechtsmittel der weiteren
Beschwerde ist durch § 51 dem Kammergericht übertragen. Wird die weitere Beschwerde
ausschließlich auf die Verletzung einer Rechtsnorm gestützt, welche in dem Bezirke des
Kammergerichts nicht gilt, so hat dasselbe die Verhandlung und Entscheidung demjenigen
Oberlandesgerichte zu überweisen, zu dessen Bezirk das Landgericht gehört, welches die