Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 99. 299 
8 1Abs. 1. 
Das Etatsjahr für den Staatshaushalt beginnt vom 1. April 1877 ab mit 
dem 1. April und schließt mit dem 31. März jedes Jahres. 
Die Finanzperiode ist also eine einjährige, beginnt mit dem 1. April dieses und 
schließt mit dem 31. März des nächsten Jahres. Hiermit steht in Zusammenhang die Be- 
stimmung des Art. 76, daß der Landtag in jedem Jahre einberufen werden soll. Der 
Etat gilt nur für das bestimmte Jahr, er verliert von selbst seine gesetzliche Kraft für 
die Zukunft mit dem Ablaufe dieses Jahres, der Etat des neuen Jahres tritt vorbe- 
haltslos und völlig in seine Stelle. Das den Etat feststellende Gesetz bezeichnet ihn in 
unzweidentiger Weise als einen transitorischen, als den „Staatshaushaltsetat für das 
Jahr vom 1. April 1894/95.“ Somit ist es durch die Verfassungsurkunde verboten, 
den Etat für mehrere Jahre durch ein einziges Gesetz festzustellen, wogegen es nicht 
verboten ist, in einer und derselben Sitzungsperiode des Landtages die Etats der beiden 
folgenden Jahre durch zwei besondere, je ein Jahr betreffende Gesetze festzustellen. 
Ebenso folgt aus Art. 99, daß der Etat für jedes Jahr als ein einheitliches Ganzes 
durch ein einziges Gesetz festzustellen ist, wogegen es andererseits zulässig erscheint und 
schon mehrfach nothwendig gewesen ist, zur Deckung unvorhergesehener Bedürfnisse Nach- 
tragsetats auf- und durch besonderes Gesetz festzustellen. Aus diesem Allen ergiebt sich 
und ist zudem in Art. 99 ausdrücklich ausgesprochen, daß der für jedes Jahr aufzustellende 
Staatshaushaltsetat schon vor dem Beginne des Etatsjahres, also vor dem jedesmaligen 
1. April vereinbart, durch ein Gesetz festgestellt und, da zum Begriffe des Gesetzes auch 
die Publikation gehört, mit dem Gesetze publizirt sein muß. Geschieht dies nicht, so 
kann, um der Staatsregierung die Ermächtigung zur Führung des Staatshaushaltes 
zu ertheilen, ein doppelter Weg gewählt werden. Entweder kann nämlich die Staats- 
regierung durch ein vor Beginn des betreffenden Jahres erlassenes Gesetz unter Vor- 
behalt der verfassungsmäßigen Feststellung des Staatshaushaltsetats für das bevor- 
stehende Jahr ermächtigt werden, die im Staatshaushaltsetat des Vorjahres vorge- 
sehenen dauernden Staatsausgaben in den Grenzen der bei den einzelnen Kapiteln und 
Titeln bewilligten Summen, auch wohl andere speziell bezeichnete Ausgaben, aus den 
Einnahmen des bevorstehenden Jahres fortleisten zu lassen; so ist es geschehen für die 
Jahre 1875 und 1876 durch die Gesetze vom 4. Juni 1874 und 30. Juni 1875 (Ges.= 
Samml. S. 240 und 371). Oder durch das nach Beginn des Etatsjahres ergangene 
Etatsgesetz werden die bis zur gesetzlichen Feststellung des Staatshaushaltsetats inner- 
halb der Grenzen desselben geleisteten Ausgaben nachträglich genehmigt, also der Re- 
gierung Indemnität ertheilt; so ist es verhalten bezüglich der Jahre 1871 bis 1873, 
1890/91 und 1891/92 durch die Gesetze vom 29. Januar 1871, 17. März 1872, 
24. März 1873, 14. Mai 1890 und 24. Juni 1891 (Ges.-Samml. S. 25, 185, 49, 101 
und 143). Uebrigens ist keine Bestimmung der Verfassungsurkunde so anhaltend ver- 
letzt worden, wie gerade diese. Eine rechtzeitige Vereinbarung und Publizirung des 
Etatsgesetzes mit dem Etat hat bisher stattgefunden nur für die Jahre 1867, 1870, 
1877 bis 1880, 1881, 1888, und eine Sanirung auf einem der beiden bezeichneten Wege 
ist eben nur durch die zitirten sieben Gesetze erfolgt. Die Schuld hieran trifft den 
Landtag mindestens ebenso schwer wie die Staatsregierung. 
Nach Art. 62 Abs. 2 muß der Etat zuerst dem Abgeordnetenhause vorgelegt 
und kann von dem Herrenhause nur im Ganzen angenommen oder abgelehnt werden. 
Die Frage, ob der Etat auf Grund des Art. 63 durch eine Verordnung mit Ge- 
setzeskraft festgestellt werden dürfe, ist bereits zu Art. 63 (Anmerk. A. 5, oben S. 208) 
geprüft und verneint worden. Es läßt sich auch gar nicht ersehen, wie die Noth- 
wendigkeit, die öffentliche Sicherheit aufrecht zu halten oder einen 1 Hoth- 
stand zu beseitigen, eine solche Oktroyirung fordern könnte. Thatsächlich ist selbst während 
der sog. Konfliktszeit der sechziger Jahre, obgleich für die vier Jahre 1863 bis 1866 
ein Etatsgesetz nicht zu Stande gekommen war, der Etat nicht ein einziges Mal durch 
Nothverordnung oktroyirt worden. Die Staatsregierung hat erklärt, der Fall, daß das 
Etatsgesetz nicht zu Stande komme, sei in der Verfassungsurkunde nicht vorgesehen, die 
Verfoung habe also eine Lücke. Sie hat, gestützt auf biee Theorie, ohne Etatsgesetz 
regiert, aber nach Beendigung des Krieges mit Oesterreich die Ertheilung der Indem- 
nität beantragt und sowohl hierdurch, als auch in der Thronrede vom 5. August 1866 
anerkannt, daß die von ihr während der genannten vier Jahre geleisteten Staatsaus- 
gaben der gesetzlichen Grundlage entbehrt hätten, welche der Staatshaushalt nur durch 
das nach Art. 99 alljährlich zu vereinbarende Gesetz erhalte.
	        
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