I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 99. 301
Laband Das Budgetrecht nach der Preußischen Verfassungsurkunde unter Berücksichtigung
der Verfassung des Norddeutschen Bundes, Berlin 1871; siehe auch Gneist Gesetz und
Budget, Berlin 1879.
Nach Laband's ebenso geistvollen wie lehrreichen Untersuchungen ist die Fest-
stellung des Staatshaushaltsetats materiell kein Akt der Gesetzgebung, sondern ein
Verwaltungsakt, indem der Etat keine Rechtsnormen, sondern nur Rechnungsposten ent-
hält, also kein Gesetz im materiellen Wortverstande ist. Daher könne der Satz „der
Staatshaushaltsetat wird jährlich durch ein Gesetz festgestellt" nur den Sinn haben,
daß der Etat ebenso wie ein Gesetz oder im Wege der Gesetzgebung festgestellt werde.
Hingegen dürfte Folgendes zu bemerken sein.
Das den Staatshaushaltsetat feststellende Gesetz, welches übrigens nicht selten auch
noch andere Bestimmungen enthält (oben S. 293.94), hat eine doppelte rechtliche Bedeutung.
Zunächst bildet nämlich der festgestellte Etat dergestalt die bindende Regel für die gesammte
Staatsverwaltung im betreffenden Etatsjahre, daß jede nicht von vornherein gestattete
Abweichung nicht bloß eine Verletzung der Amtspflicht, sondern auch eine zu vertretende
Rechtswidrigkeit ist, wofern sie nicht durch die nachträgliche Genehmigung des Landtages
sanirt wird, ja daß selbst die Uebertragung etwaiger Ersparnisse innerhalb eines Titels
auf einen anderen (Transferirung, Virement) im Etat besonders vorgesehen sein muß.
Der Beamte, der hiergegen verstößt, muß für den Verstoß mit seinem eigenen Vermögen
aufkommen, ohne durch die Berufung darauf geschützt zu sein, daß durch seinen Verstoß
dem Staate ein materieller Schaden nicht erwachsen sei, ein Fall der in rem versio
vorliege. Noch wichtiger ist die zweite rechtliche Bedeutung des Etatsgesetzes. Nach
Art. 109 der Verfassungsurkunde hat die Staatsregierung die einmal bestehenden
Steuern und Abgaben so lange zu erheben, bis sie gestglioh aufgehoben werden. Be-
züglich aller anderen Staatseinnahmen enthält die Verfassungsurkunde eine solche Be-
stimmung nicht und ebensowenig enthält sie eine Bestimmung, durch welche die Staats-
regierung ermächtigt wird, die einmal festgestellten Ausgaben fortgesetzt, also auch dann
zu leisten, wenn sie nicht in den diesjährigen Etat ausgenommen sind. Abgesehen also
von der Erhebung der bestehenden Steuern und Abgaben erhält die Staatsregierung
nur durch das Etatsgesetz die staatsrechtliche Vollmacht und die verfassungsmäßige Be-
rechtigung, die ihr durch das Etatsgesetz überwiesenen Einnahmequellen zu benutzen und
aus denselben die gleichfalls durch dasselbe anerkannten veranschlagten Ausgaben
zu leisten. In zutreffender Weise weist v. Rönne darauf hin, wie auch der Abs. 1
des Art. 104 der Verfassungsurkunde ergebe, daß die Verfassungsurkunde Ausgaben ohne
Existenz eines Etatsgesetzes überhaupt nicht kenne. Denn daraus, daß zu Ueberschrei-
tungen die nachträgliche Genehmigung der Kammern erforderlich sei, folge, daß die Ver-
fassungsurkunde zwar solche Ausgaben kenne, welche im Etat nicht bewilligt seien, jedoch
nur als Etatsüberschreitungen, d. h. als Ausgaben, die neben und außer einem jeden-
falls vorhandenen Etat vorkämen. Allein sie kenne keine Wirthschaften ohne Etat.
Daher stehe jede Ausgabe, die ohne das Vorhandensein eines Etats geleistet werde,
nicht auf verfassungsmäßigem Boden (v. Rönne, Rd. I. § 118 S. 635 Anm. 3). Hier-
mit hat sich die Etaatsp#ayis schließlich in Uebereinstimmung gesetzt. In der schon
oben (S. 299) zitirten Königlichen Thronrede vom 5. August 1866 heißt es (Stenogr.
Berichte des Abgeordnetenhauses 1866/67 Bd. 1 S. 2):
· Ueber die Feststellung des Staatshaushaltsetats hat eine Vereinbarung mit
der Landesvertretung in den letzten Jahren nicht ferbeigeührt werden können.
Die Staatsausgaben, welche in dieser Zeit geleistet sind, entbehren daher der ge-
setzlichen Grundlage, welche der Staatshaushaltsetat, wie Ich wiederholt anerkenne,
nur durch das nach Art. 99 der Verfassungsurkunde alljährlich zwischen Meiner
Regierung und den beiden Häusern des Landtages zu vereinbarende Gesetz erhält.
Und das Gesetz, betreffend die Ertheilung der Indemnität an die Re-
gierung in Bezug auf die Führung des Staatshaushalts vom Jahre
1862 ab und die Ermächtigung zu den Staatsausgaben für das Jahr
1866, vom 20. September 1866 (Ges.-Samml. S. 563) bestimmt in Art. 1 und 2:
Die als Anlagen beigefügten Uebersichten der Staatseinnahmen und -Aus-
gaben sollen für die Jahre 1862 bis 1865 statt des verfassungsmäßigen und all-
jährlich vor Beginn des Etatsjahres zu vereinbarenden Staatshaushaltsgesetzes als
Grundlagen für die Rechnungslegung und die Entlastung der Staatsregierung dienen.
Der Staatsregierung wird in Bezug auf die seit dem Beginne des Jahres
1862 ohne gesetzlich festgestellten Staatshaushaltsetat geführte Verwaltung, vorbe-
haltlich der Beschlußfassung des Landtages über die Entlastung der Staatsregierung,