I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 99. 305
Landtage beschlossenen Etatsgesetze, auch wenn sich dasselbe mit dem Regierungsentwurfe
bis auf den Punkt über dem letzten i deckt, die Sanktion zu versagen (Anmerk. C. zu
Art. 62, oben S. 202), ist also in der Lage, durch ihre kloße Nichtgenehmigung das
Zustandekommen des Etatsgesetzes auf beliebige Zeit zu verhindern, und geichwohl
entspricht nach Laband's Behauptung dieses Verfahren der „wahren Natur“ des
Budgetrechts!
Welches sind denn aber die Folgen, wenn das Etatsgesetz nicht zu Stande kommt?
Die Verfassungsurkunde befiehlt in Art. 99 kategorbch daß all Einnahmen und
Ausgaben des Staates für jedes Jahr im Voraus veranschlagt und auf den Staats-
haushaltsetat gebracht, letzterer jährlich durch ein Gesetz festgestellt werden soll, sie
gedenkt aber in Art. 62 Abs. 3 der Möglichkeit, daß der Etat im Landtage verworfen
werde. Wenn sie gleichwohl für diesen Fall der Etatsverwerfung keine besonderen Maß-
nahmen anordnet, so ist es klar, daß sie solche besonderen Maßnahmen nicht für er-
forderlich hält. Die Staatsregierung hat eben sofort mit positiver Rücksicht auf die
Verwerfungsgründe einen neuen Etatsentwurf vorzulegen. Hält die Regierung dies
mit dem Staatswohl nicht für vereinbar oder, weil das Herrenhaus den ersten Entwurf
wegen der vom Abgeordnetenhause vorgenommenen Aenderungen verworfen hat, für
wirkungslos, so kann sie durch Auflösung des Abgeordnetenhauses an das Volk appelliren
oder durch Ernennung neuer Mitglieder des Herrenhauses den Widerstand dieses Hauses
brechen. Führt auch dieses nicht zum Ziele, so haben die Minister dem Monarchen ihr
Portefeuille zurückzugeben. eineswegs aber sind sie berechtigt, die Staatsver-
waltung ohne gesetki festgestellten Etat zu führen. Dies wäre einfach ein Verfassungs-
bruch. Von einem Nothrechte darf nicht gesprochen werden, denn es läßt sich kein Noth-
recht denken, welches gerade diese Minister berechtigt, ihren Dienst- und Verfassungseid
und ohne Etat zu regieren, es giebt überhaupt kein Recht, die gesetzliche
des Art. 99 zu übertreten. Dabei ist es gleichgültig, ob der Landtag oder
die das Nichtzustandekommen des Etats verschuldet hat. Die einzige Ver-
fassungslücke, welche bezüglich dieser Frage existitt, ist die, daß das in Art. 61 der Ver-
fassungsurkunde vorgesehene Ministerverantwortlichkeitsgesetz noch nicht erlassen ist. Dies
st der strenge Standpunkt des Rechts. Freilich darf auch der strengste Jurist nicht
vergessen, daß das Recht niemals Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zwecke ist und
daher zurücktreten muß, wenn seine Anwendung den Zweck vereitelt. Vom politischen
Standpunkte aus läßt sich allerdings ein Nothstand denken, in welchem nur Ein Wahr-
zeichen gilt, nämlich das Vaterland zu erretten. Aber wenn auch die nachträgliche In-
demnität den Verfassungs= und Eidbruch verzeiht, so macht sie ihn doch nicht ungeschehen.
Wenn nun der Etat nicht zu Stande gekommen ist, so folgt daraus nicht, daß
die ganze Staatsmaschine zum Stillstand kommen muß, vielmehr sind trotzdem alle die-
jenigen Einnahmen zu erheben und diejenigen Ausgaben zu leisten, bezüglich deren dem
Landtage das freie Vewilligungs- und Verweigerungsrecht fehlt. Die ensoffungsurkunde
selbst bestimmt in Art. 100, daß die Anordnung von Steuern und Abgaben durch be-
sondere Gesetze genügt, in Art. 109, daß die bestehenden Steuern und Abgaben fort-
erhoben werden, und auch alle möglichen übrigen Einnahmen sind schon nach allgemeinen
Rechtsgrundsätzen (8§ 116 A. L. R. 1 14) in pflichtmäßiger Wahrnehmung der Rechte des
Fiskus zu erheben. Ebenso sind alle gesetzlich feststehenden Ausgaben zu gesten also die
Matrikularbeiträge an das Reich, die Krondotation, die Zinsen der Staatsschulden, die
Gehälter der Beamten, die überhaupt für die behördliche Thätigkeit erforderlichen Auf-
wendungen und nicht minder die auf einem privatrechtlichen Titel beruhenden Leistungen
an einzelne Personen (oben S. 300 Abs. 1). Dagegen dürfen, wie Art. 100 ausdrücklich
hervorhebt, nicht erhoben werden alle diejenigen Einnahmen, welche aus nur auf Jahres-
frist bewilligt gewesenen Steuern und Abgaben fließen, und ebenso dürfen geleistet werden
weder diejenigen Ausgaben, welche nicht gesetzlich feststehen, noch diejenigen, für welche
ein privatrechtlicher Titel noch nicht existirt. Hierin liegt kein Widerspruch zu der ver-
fasiungsmäßigen Verpflichtung der Staatsregierung, nicht ohne Etat zu regieren, da ja
dieses Gebot die gleichwohl ohne Etat regierenden Minister nicht von den auch unab-
hängig vom Etat bestehenden Amtspflichten entbindet und zu den Folgen des Verfassungs-
bruches die finanzielle Haftung der einzelnen Minister gehört für die von ihnen, ohne
durch den Etat dazu bevollmächtigt zu sein, geleisteten Ausgaben. Mag auch diejenige
Forderung, zu deren Befriedigung die Ausgabe geleistet wird, materiell begründet sein,
so involvirt gleichwohl die Leistung, weil eben nicht auf einem Etat beruhend,
eine formelle Verfassungsverletzung. Der Einwand, daß die Regierung den Staat
vertritt, und daß diejenigen, deren rechtlich bestehende Forderungen aus der Staatskasse
Schwary, Preußische Verfassungsurkunde. 20