320 I. Berfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 104.
dem mit jedem Jahre dringlicher werdenden judicium finium regundorum zwischen
Krone und Landtag obliegen wird. Siehe Arndt im Archiv für öffentliches Recht
Be. III. S. 533f. h chiv für offentliches Rech
Arlikel 104.
Zu Etatsüberschreitungen ist die nachträgliche Genehmigung der
Kammer erforderlich.
Die Rechnungen über den Staatshaushalt werden von der Ober-
rechnungskammer geprüft und festgestellt. Die allgemeine Rechnung
über den Staatshaushalt jeden Jahres, einschließlich einer Uebersicht
der Staatsschulden, wird mit den Bemerkungen der Oberrechnungs-
kammer zur Entlastung der Staatsregierung den Kammern vorgelegt.
Ein besonderes Gesetz wird die Einrichtung und die Befugnisse
der Oberrechnungskammer bestimmen.
A. Das in Abs. 3 in Aussicht genommene Gesetz ist das Gesetz, betreffend die Einrichtung und
die Befugnisse der Oberrechnungskammer, vom 27. März 1872. Bereits in Anm. C. zu
Art. 99, oben S. 296 f., ist zur Erörterung gekommen, wie die Oberrechnungskammer ein-
gerichtet ist, welche Stellung sie gegenüber den anderen Staatsbehörden einnimmt, und
wie sie die Rechnungen über den Staatshaushalt prüft und feststellt.
B. Die Staatsregierung läßt für jedes Etatsjahr die „allgemeine Rechnung über den
Staatshaushaltsetat“ in der Art aufstellen, daß die gesammten Staatseinnahmen und
.Ausgaben auf Grund der von den einzelnen Kassen gelegten Jahresrechnungen nach
Anordnung des Staatshaushaltsetats, bezw. der Spezialetats der einzelnen Nessorts u-
sammengestellt und mit den entsprechenden Positionen des Etats verglichen werden. Es
werden zuerst für die einzelnen Ressorts besondere Spezialrechnungen und Uebersichten
aufgestellt, diese dann der Oberrechnungskammer zur Prüfung und Verhleichung mit
den Kassenrechnungen vorgelegt und nach erfolgter Bescheinigung der Richtigkeit die
Resultate derselben in Form einer allgemeinen Rechnung nach den Titeln des Staats-
haushaltsetats zusammengestellt. Die allgemeine Rechnung wird demnächst in ihrem
Gesammtresultate nochmals der Oberrechnungskammer zur Prüfung vorgelegt, und es
wird von dieser bescheinigt, ob dieselbe mit den Summen und Beträgen übereinstimmt,
welche in den von der Oberrechnungskammer revidirten und dechargirten Kassenrechnungen
in Einnahme und Ausgabe nachgewiesen sind. Diese allgemeine Rechnung, nebst einer
Uebersicht der vorgekommenen Etatsüberschreitungen und der der nachträglichen Ge-
nehmigung bedürfenden außeretatsmäßigen d. h. sich an keinen Titel. des Etats an-
schließenden Ausgaben, wird sodann mit den Spezialrechnungen der einzelnen Ressorts
unter Beifügung der vorgeschriebenen Bemerkungen der Oberrechnungskammer dem
Landtage zur Entlastung der Staatsregierung vorgelegt. Die Kammern lassen sie durch
ihre Budgetkommission prüfen und beschließen demnächst auf deren Bericht über die
Ertheilung oder Versagung der Decharge, wovon die Staatsregierung durch den Präsi-
denten in Kenntniß gesetzt wird.
Die Vorlage ist eine Finanzvorlage, nicht aber ein Finanzgesetzentwurf. Sie
muß daher nicht zuerst dem Abgeordnetenhause und sie kann gleichzeitig beiden
Kammern vorgelegt werden. Jede Kammer steht der Vorlage selbstständig gegen-
über, braucht, wenn sie ihr gleichzeitig mit der anderen Kammer vorgelegt wird,
nicht zu warten, bis diese ihren Wschla gefaßt hat, und kann die Decharge ohne
Rücksicht auf den Beschluß der anderen Kammer ertheilen oder verweigern. In
diesen Punkten sind v. Rönne (Bd. I. 8 120 S. 654) und v. Schulze (Bd. II. § 210
S. 282) anderer Ansicht, ohne diese aber genügend zu begründen. Dagegen ist ihnen
natürlich darin beizustimmen, daß die Regierung der Entlastung Seitens beider Häuser
bedarf, die Entlastung von Seiten nur eines Hauses nicht genügt. Wird die Entlastung
verweigert, so fehlen der Volksvertretung zur Zeit noch alle praktisch wirksamen Rechts-
mittel, um das Ministerium, welchem die Entlastung versagt worden ist, effektiv zur
Verantwortung zu ziehen.