Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

324 1. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 104. 
in Ausgabe gestellt. Die Sache liegt geradeso wie bei dem strafrechtlichen Begnadigungs- 
rechte nach Art. 49 der Verfassungsurkunde. Der König dispensirt nicht von der Be- 
obachtung des Strafgesetzes, was er bezüglich eines Reichsgesetzes auch gar nicht könnte, 
der Verbrecher wird verurtheilt, ist nunmehr schuldig, die Strafe zu erleiden, ist 
und bleibt ein verurtheilter Verbrecher, was sich namentlich bei einem Rückfalle geltend 
macht, aber die Vollziehung der Strafe unterbleibt. Daß ferner Art. 101 hier keine 
Anwendung erleidet, geht aus der zu ihm oben S. 308 in Anmerk. B. gegebenen Er- 
läuterung klar hervor, denn der Verzicht der Krone ist ja eben ein Verzicht auf die 
Erfüllung einer rechtlich begründeten Verpflichtung, nicht Schaffung eines Stenerprivi- 
legiums. Der Einwand endlich, daß der Titel III. der Verfassungsurkunde „Vom Könige“ 
das Recht der Krone zu finanziellen Gnadenerlassen nicht erwähnt, obgleich Art. 49 als 
sedes materiae des Rechtes hätte gedenken müssen, ist deshalb nicht von Gewicht, weil 
der letztgenannte Artikel nicht das als Attribut der Krone selbstverständliche strafrechtliche 
Begnadigungsrecht festsetzen, sondern zwei Beschränkungen desselben sanktioniren will und 
nur Behufs Formulirung dieser Beschränkungen das Begnadigungsrecht der Krone als 
Regel voranstellt. Thatsächlich ist das Gnadenrecht der Krone auch unter der Herrschaft 
der Verfassungsurkunde ununterbrochen ausgeübt worden. 
Wie bei dem Verzicht auf die auf privatrechtlichen Gründen, ist auch bei dem Ver- 
zicht auf die auf staatsrechtlichen Gründen beruhenden Einnahmen ein allgemeines Kontrol- 
recht des Landtages nicht füglich zu bestreiten, wobei natürlich nicht der König, sondern 
derjenige Minister, der die Königliche Ordre gegengezeichnet hat, dem Landtage gegen- 
übersteht. Daraus folgt allerdings nach dem bestehenden Rechte nicht, daß die Ober- 
rechnungskammer den Gnadenerlaß zu moniren hat, und daß diese Monitur mit der all- 
gemeinen Rechnung dem Landtage vorzulegen ist. Das Gesetz, betreffend die Einrichtung 
und die Befugnisse der Oberrechnungskammer, vom 27. März 1872 hat das Kontrol- 
recht des Landtages erweitert, aber das Recht der Krone zu Gnadenerlassen nicht ge- 
ändert, so daß auch nach diesem Gesetze die Steuerbehörden durch einen Gnadenerlaß ge- 
deckt sind. Da dem Landtage inhaltlich des § 17 des Gesetzes nur diejenigen Monita 
der Oberrechnungskammer mitzutheilen sind, welche durch die Notatenbeantwortung nicht 
gehoben wurden, so erhält er von den Gnadenerlassen keine amtliche Mittheilung. Dies 
um so weniger, als die Oberrechnungskammer an dem Grundsatze festhält, daß „eine 
Abweichung von dem Etat oder dem Gesetz, welche verfassungsmäßig durch die Krone 
ohne Genehmigung des Landtages angeordnet werden kann, nicht als eine Abweichung 
im Sinne des § 18 des Oberrechnungskammergesetzes anzusehen, also nicht Gegenstand 
der Monitur ist“ (Abgeordnetenhaus 1891, Stenogr. Berichte S. 416). 
Daß dieser Zustand kein erwünschter ist, kann vernünftiger Weise nicht geleugnet 
werden. Es liegt auf der Hand, daß das Gnadenrecht der Krone wider Willen und Wissen 
des Monarchen in einer zu seinem Zwecke in direktem Widerspruch stehenden Weise aus- 
gebeutet werden kann, ohne daß der Landtag etwas davon erfährt. Zudem müssen, wenn 
der Staatshaushalt keinen Ueberschuß ergiebt, erst recht aber in Zeiten eines Defizits 
die übrigen Steuerzahler den erlassenen Betrag decken, obgleich in § 7 A. L. R. 11. 14 
das Recht des Königs zur Ertheilung von Steuerbefreiungen dahin beschränkt ist, daß 
durch dieselben „die übrigen Mitglieder derselben Klasse nicht mit höheren Lasten be- 
schwert werden sollen.“ Auch hier wird das langerwartete Komptabilitätsgesetz einzu- 
setzen haben. 
Siehe: Arndt Verfassungsurkunde S. 285, 298, und im Deutschen Wochen- 
blatte 1890 S. 610; 
Joal in Hirth's Annalen 1888 S. 805, 1891 S. 417, 1892 S. 286; 
Bornhak im Archiv für öffentliches Recht Bd. VI. S. 311; 
Meyer in Heidelberger Jahrbücher Bd. I. S. 336; 
Laband im Archiv für öffentliches Recht Bd. VII. S. 169; 
Curtius in Hirth's Annalen 1893 S. 670; 
Abgeordnetenhaus Sitzung vom 28. Jannar 1891, Stenographische Be- 
richte S. 413.
	        
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