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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 106.
die Behörden erhalten das völlig freie Prüfungsrecht und müssen, jede Behörde in
ihrem Wirkungskreise, die Verordnung als ungültig, die Verfassung als nicht aufgehoben
behandeln, da der König durch keine Bestimmung der Verfassungsurkunde zu jener
Aufhebung berechtigt erklärt wird, er sich vielmehr gemäß Art. 54 eidlich verpflichtet
hat, „die Verfassung des Königreichs fest und unverbrüchlich zu halten und in Ueber-
einstimmung mit derselben zu regieren.“ Die Verordnung wäre also eine durchaus
perplexe, höbe sich durch ihren inneren Widerspruch selbst auf. Ferner nimmt der
Abs. 2 dadurch, daß er das Prüfungsrecht den Kammern überweist, von jener Auf-
bebung die, die Kammern behandelnden Artikel der Verfassungsurkunde aus, so daß das
erbot, die Rechtsgültigkeit der Verordnung zu prüfen, sich nicht auf die Frage erstreckt,
ob die Integrität jener Artikel gewahrt ist. Solche Verordnungen würden auch deshalb
nichtig sein, weil, wenn nicht schon ihr Erlaß für die sie kontrasignirenden Minister, so
doch der Versuch, sie mit den Mitteln der Amtsgewalt durchzuführen, nach § 81 Nr. 2
des Strafgesetzbuches das Verbrechen des Hochverraths enthielte und der Beamte dem
Befehl, an einem Verbrechen mitzuwirken, den Gehorsam zu verweigern hat. Hält man dies
zusammen mit dem Umstande, daß die Rechtsgültigkeit der Königlichen Verordnungen
gegenüber dem Reichsrecht auch von den Behörden stets geprüft werden muß, und daß
ie Reichsgesetzgebung von Jahr zu Jahr ihre Kreise weiter zieht, so ergiebt sich die
Bedeutung des Abs. 2 zwar immer noch als eine folgenschwere, aber nicht als eine so ge-
wichtige, wie v. Schul ze oder gar Arndt annehmen. Daß die Verordnung dem
Landtage von der Regierung vorgelegt werden müsse, ist nicht vorgeschrieben, der Land-
tag kann also die Prüfung aus eigener Initiative vornehmen. Ist die Verordnung
auch nur von einer der beiden Kammern für ungiltig erklärt, so ist sie von der Re-
gierung natürlich sofort zurückzuziehen. Bis diese Zurückziehung erfolgt ist, haben die
Behörden sie, ebenso wie die Verordnung mit Gesetzeskraft, anzuwenden (Anm. A. 8 zu
Art. 63, oben S. 210).
mDie Vorschrift des Abs. 1, daß die Prüfung der Rechtsgültigtei nichk den Behörden,
sondern nur dem Landtage zusteht, bezieht sich nur auf die Verordnungen des Königs,
nicht auf die der Behörden. Die Rechtsgültigkeit der von den Ministern, Provinzial-
und Lokalbehörden erlassenen Verordnungen darf nicht bloß, sondern muß von den Be-
hörden geprüft werden. Hierbei macht sich jedoch der bereits oben berührte Unterschied
zwischen dem Verwaltungsbeamten und dem Richter geltend. Der Verwaltungsbeamte
bat dem ihm von der zuständigen vorgesetzten Behörde zugehenden Befehl nicht ver-
recherischen Juhaltes am letzten Ende zu gehorchen, ist aber dafür von der Verant-
wortung frei. Das Gleiche gilt für den Richter bezüglich der Geschäfte der Justiz-
verwaltung, nicht aber bezüglich der Rechtsprechung. In der Rechtsprechung darf der
Richter nur diejenigen Verordnungen der Behörden für maßgebend erachten, welche von
der verordnenden Behörde auf Grund gesetzlicher Ermächtigung erlassen sind, und hat
das ermächtigende Gesetz zugleich auf seine Uebereinstimmung mit dem Reichsrecht und
auf seine gehörige Bekanntmachung zu prüfen. Weiter geht sein Prüfungerecht aller-
dings nicht. Insbesondere ist er nicht befugt, die Zweckmäßigkeit und Angemessenheit
der Polizeiverordnungen zu prüfen.
Bezüglich der Bekanntmachungen der nicht Königlichen Verordnungen ist zu unterscheiden
zwischen denjenigen, welche lediglich an die untergeordneten Behörden, und denjenigen,
welche auch an das Publikum gerichtet sind.
Die ersteren sind von den untergeordneten Behörden zu befolgen, einerlei auf
welchem Wege sie ihnen bekannt werden, und zwar entweder sogleich oder von dem in
ihnen angegebenen Zeitpunkte an. Als amtliche Publikationsorgane der Centralstellen
für allgemeine Verfügungen dienen folgende Blätter:
1. Centralblatt der Abgaben-, Gewerbe= und Handels-Gesetzgebung und Verwaltung
in den Königl. Preußischen Staaten, redigirt im Bureau des Finanzministeriums;
2. Centralblatt für die gesammte Unterrichtsverwaltung in Preußen, im Auftrage
des Ministers der geistlichen 2c. Angelegenheiten und unter Benutzung der amtlichen
Quellen herausgegeben;
. Ministerialblatt für die gesammte innere Verwaltung in den Königl. Preußischen
Staaten, herausgegeben im Bureau des Ministers des Junern;
mJustizministerialblatt für die Preußische Gesetzgebung und Rechtspflege, herausge-
geben im Bureau des Justizministeriums;
Armeeverordnungsblatt, redigirt vom Kriegsministerium;
Eisenbahnverordnungsblatt, herausgegeben im Ministerium für öffentliche Arbeiten.
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