1. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 106. 335
Die auch an das Publikum gerichteten Verordnungen der Minister werden nur
dann in der Gesetzsammlung bekannt gemacht, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist.
Im Uebrigen hat regelmäßig die verordnende Behörde selbst Weise und Art der Publi-
kation zu bestimmen. Die auch von v. Rönne (Bd. I. § 91 S. 396 Anmerk. 1 b) ge-
theilte Ansicht, daß Verordnungen, welche Rechtsvorschriften enthalten, die dem einzelnen
Unterthanen unmittelbare Verpflichtungen auferlegen, in der für Gesetze vorgeschriebenen
Weise, also in der Gesetzsammlung publizirt werden müssen, findet in dem bestehenden
Rechte keinen Anhalt, wird in der Praxis nicht befolgt und ist, wie Arndt (Anm. 3
Abs. 2 zu Art. 106, S. 174) zutreffend bemerkt, bei der unübersehbaren Fülle solcher
Verordnungen kaum durchführbar. Die durch das Amtsblatt publizirten Verordnungen
treten, wenn nichts Anderes bestimmt ist, mit dem achten Tage nach Ablauf desjenigen
Tages in Kraft, an welchem das betreffende Stück des Amtsblattes ausgegeben ist
(Anm. A. 5, oben S. 331).
Besondere Vorschriften existiren über die Polizeiverordnungen, enthalten in:
. Gesetz über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850 (Ges.-Samml. S. 265);
Verordnung über die Polizeiverwaltung in den neu erworbenen Landestheilen vom
20. September 1867 (Ges.-Samml. S. 1529);
Gesetz über die Polizeiverwaltung im Herzogthum Lauenburg vom 7. Januar 1870
(Offizielles Wochenblatt S. 13);
.Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 88 136 bis 145
(Ges.-Samml S. 195);
. den in Anm. B. 3 zu Art. 105, oben S. 326 benannten Kreisordnungen vom 13. De-
zember 1872 § 62 und 26. Mai 1888 8 54.
Darnach hat der Regierungspräsident über die Art der Verkündigung orts= und
kreispolizeilicher Vorschriften, sowie über die Form zu bestimmen, von deren Beob-
achtung die Gültigkeit derselben abhängt. Die von den Ministern, Oberpräsidenten und
Regierungspräsidenten erlassenen Polizeivorschriften sind unter der Bezeichnung „Polizei-
verordnung" und unter Bezugnahme auf die Bestimmungen des § 136 beziehungsweise
der §§ 137 oder 138 des Landesverwaltungsgesetzes, sowie in den Fällen des 8 137
auf die in demselben angezogenen gesetzlichen Bestimmungen durch die Amtsblätter der-
jenigen Hezirte bekannt zu machen, in welchen dieselben Geltung erlangen sollen. Ist
in einer solchen ministeriellen oder präsidialen Polizeiverordnung der Zeitpunkt bestimmt,
in welchem dieselbe in Kraft treten soll, so ist der Anfang ihrer Wirksamkeit nach dieser
Bestimmung zu beurtheilen; enthält sie aber eine solche Zeitbestimmung nicht, so be-
ginnt ihre Wirksamkeit mit dem achten Tage nach dem Ablaufe desjenigen Tages, an
welchem das betreffende Stück des Amtsblatts ausgegeben worden ist — Landesver-
waltungsgesetz §§ 144 Abs. 2, 140, 141. Die Gerichte haben, wenn sie über Zuwider-
handlungen gegen die polizeilichen Vorschriften erkennen, die Vorschrift dahin zu prüfen,
ob sie gehörig bekannt gemacht ist und mit den Gesetzen, auch mit der Verfassungs-
urkunde, oder den Verordnungen einer höheren Instanz nicht im Widerspruche steht,
insbesondere also, ob die verordnende Behörde zum Erlasse der Verordnung dem Gegen-
stande nach befugt gewesen ist. Ebenso seben sie die Prüfung auf die Frage w richten,
ob der Amtsausschuß oder Gemeindevorstand oder Kreisausschuß oder Bezirksausschuß
oder Provinzialrath dem Erlasse der Polizeiverordnung zugestimmt haben. Dagegen
hat Fs dee Prüfung nicht auf die Nothwendigkeit oder Zweckmäßigkeit der Verordnung
zu erstrecken.
Nach §§ 196, 197 des Allgemeinen Berggesetzes für die Preußischen Staaten
vom 24. Juni 1865 (Ges.-Samml. S. 705) sind die Oberbergämter befugt, für den
ganzen Umfang ihres Verwaltungsbezirks oder für einzelne eäile derselben Polizei-
verordnungen über die Sicherheit der Baue, des Lebens und der Gesundheit der Ar-
beiter, sowie über den Schutz gegen gemeinschädliche Einwirkungen des Bergbaues zu
erlassen. Die Verkündigung dieser Verordnungen hat durch die Amtsblätter derjenigen
Regierungen zu erfolgen, in deren Bezirken dieselben Gültigkeit erlangen sollen.
Es fragt sich, ob Art. 106 auch für Staatsverträge gilt, welche vom Könige abgeschlossen
werden. Wie Arndt (Anm. 4 zu Art. 106 S. 175°176) es formulirt: „Vom Könige
ohne Zustimmung des Landtages abgeschlossene und bekannt gemachte Staatsverträge
sind Königliche Verordnungen und unterliegen daher nicht der richterlichen Prüfung."
Vom strengen Standpunkt des geschriebenen Rechts aus läßt sich dagegen Verwahrung ein-
legen. Selbstverständlich haben die Behörden die durch die Staatsverträge geschaffenen that-
sächlichen Verhältnisse als solche anzuerkennen, und wenn sich daran auf Grund geseslicher
Vorschrift rechtliche Folgen knüpfen, so ist dies auch von den Behörden wahrzunehmen.
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