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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 109.
Ueber das bei der Vereidigung zu beobachtende Verfahren sind durch die Staatsministerial-
beschlüsse vom 12. Februar 1850 (ust.-Minist.-Bl. S. 42, Verwalt.-Minist.-Bl. S. 260)
und 31. Oktober 1867 nähere Anordnungen getroffen worden.
Nach den Justizministerialreskripten vom 30. März und 11. Juni 1850 (Just.-Minist.=
Bl. S. 110, 197) sind solche Civilstaatsdiener, welche zugleich in einem militärischen
Dienstverhältnisse, namentlich bei der Landwehr, stehen, und die probeweise als Boten
oder Exekutoren bei den Civilgerichten beschäftigten Unteroffiziere auf die Verfassung zu
beeidigen. In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 2. Mai 1863 (Stenogr. Be-
richte Bd. II. S. 1010) hat der damalige Kriegs= und Marineminister erklärt, daß „die
Civilbeamten der Militärverwaltung auf die Verfassung vereidigt werden.“ Ueber den
gegenwärtigen Zustand fehlt es durchaus an Klarheit. Die dem Offizierstande ange-
hörenden Minister sind stets auf die Verfassung vereidigt worden, wie sie auch stets an
den Wahlen zum Abgcordnuetenhause sich betheiligt haben. Die Militärbeamten, insbe-
sonderc also die Auditeure und Aerzte, werden nicht auf die Verfassung vereidigt, ob-
gleich ihnen das aktive Wahlrecht zum Abgeordnetenhause zusteht. Ebenso werden
nicht auf die Verfassung vereidigt die als Räthe im RKriegsministerium verwendeten
Offiziere, obgleich sie von jeher im Landtage als Vertreter des Kriegsministers, also in
einer Stellung fungirt haben, welche nach Art. 60 der Verfassungsurkunde nur „Staats-
beamten“ zukommt.
Artikel 109.
Die bestehenden Steuern und Abgaben werden forterhoben, und
Bestimmungen der bestehenden Gesetzbücher, einzelnen Gesetze und
Verordnungen, welche der gegenwärtigen Verfassung nicht zuwider-
laufen, bleiben in Kraft, bis sie durch ein Gesetz abgeändert werden.
A.
Die Vorschrift:
die bestehenden Steuern und Abgaben werden forterhoben, bis sie durch ein Gesetz
abgeändert werden
hatte in dem Regierungsentwurf vom 20. Mai 1848 nur eine transitorische Bedeutung,
weil einer Verfassung erst entgegengesehen wurde, ein mit den — erst zu konsti-
tuirenden — Kammern vereinbartes Budget nicht existirte und daher der immerhin
möglichen Meinung entgegengetreten werden sollte, als ob bis zur Vereinbarung des
Budgetgesetzes jede Steuerzahlung sistirt sei. Die jetzige Stellung der Vorschrift in dem
Abschnitte „Allgemeine Bestimmungen“ nöthigt dazu, ihre Bedentung für eine dauernde
anzusehen. Die einmal bestehenden Steuern und Abgaben werden nämlich, wenn ihre
Erhebung nicht an eine Resolutivbedingung oder einen Endtermin geknüpft ist, solange
erhoben, bis sie durch ein Gesetz aufgehoben werden. Ihre Erhebung kann nicht durch
einseitigen Protest des Landtages sistirt werden, der Landtag hat überhaupt bezüglich
ihrer kein Einnahmebewilligungsrecht und darf ihre Einstellung in den Etat nicht ver-
weigern. Siehe v. Rönne Bd. II. 8 121 S. 657 ff.
Der zweite Theil des Art. 109 lautet:
alle Bestimmungen der bestehenden Gesetzbücher, einzelnen Gesetze und Verordnungen,
welche der gegenwärtigen Verfassung nicht zuwiderlaufen, bleiben in Kraft, bis sie
durch ein Geseh, abgeändert werden.
Hieraus folgt nach dem bekannten argumentum e Contrario, daß alle der Verfassungs-
urkunde zuwiderlaufenden Bestimmungen durch die Verfassungsurkunde ohne Weiteres
aufgehoben sind. Anscheinend können auch die hiernach nicht eo ipso aufgehobenen Ver-
ordnungen nicht durch eine Verordnung, sondern nur durch ein Gesetz aufgehoben wer-
den, aber dem ist keineswegs so. Art. 109 ist nämlich aus der Zusammenziehung der
beiden Sätze entstanden:
1. die bestehenden Steuern und Abgaben werden forterhoben, bis sie durch ein Gesetz
abgeändert sind,
2. die geltenden Gesetzbücher, Gesetze und Verorduungen bleiben bestehen, bis sie auf
gesetzlichem Wege abgeändert sind,
und bei der Zusammenziehung wurde lediglich das Wort „Gesetz“ statt „auf gesetzlichem
Wege“ gewählt. Ueber die Frage, ob verfassungsmäßige Gesetze und Verordnungen
jetzt nur durch Gesetz oder auch durch Verordnung abgeändert oder aufgehoben werden