356 II. Ges. über 2c. Bundes= u. Staatsangehörigkeit v. 1. Juni 1870. 88.
1. November 1867 die Abweisung eines Neuanziehenden oder die Versagung der Fort-
setzung des Aufenthalts rechtfertigen. Solche Gründe sind:
a) bei den einer familienrechtlichen Gewalt unterworfenen Personen Mangel der Ge-
nehmigung des Gewalthabers;
b) polizeiliche Aufenthaltsbeschränkungen bestrafter Personen;
Jc) Mangel hinreichender Kräfte zur Beschaffung des nothdürftigen Lebensunterhaltes,
wenn solcher weder aus eigenem Vermögen bestritten werden kann, noch von einem
dazu verpflichteten Verwandten ertheilt wird.
Liegen diese Erfordernisse vor, so muß die Aufnahmeurkunde ertheilt werden.
Liegen sie nicht vor, liefert der Nachsuchende nicht den Nachweis der Niederlassung,
oder liegt einer der Gründe des Gesetzes vom 1 November 1867 vor, so kann das
Gesuch abgelehnt werden. Kann, nicht muß, indem vielmehr Mangels einer entgegen-
stehenden Bestimmung des Gesegzes die Behörde die Urkunde gleichwohl ertheilen darf.
Der Nachweis, daß der Petent aus seinem bisherigen Staatsverbande entlassen
sei, darf nicht gefordert werden. Somit ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der
Aufgenommene in zweien oder mehreren Staaten des Deutschen Reiches die Staats-
auzeher Hbeit bes 9 (Reskript des Ministers des Innern vom 3. Oktober 1872, Verwalt.=
inist
Gegen ben Bescheid, durch welchen dem Angehörigen eines anderen Deutschen
Bundesstaates die Ertheilung der Aufnahmeurkunde verweigert wird, findet nach § 155
Abs. 2 des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungs= und Gerichtsbehörden vom
1. August 1883 innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Oberverwaltungsgerichte statt.
Siehe § 6 Anmerk. B., oben S. 354.
B. Die Bewohner der Schutzgebiete, welchen auf Grund des Gesetzes vom 15. März 1888
der Reichskanzler die Reichsangehörigkeit verliehen hat (Anmerk. A. zu § 2, oben S. 351),
sind weder „Angehörige eines anderen Bundesstaates“, noch „Ausländer“, können also
weder ausgenommen noch naturalisirt werden. Es besteht hinsichtlich ihrer eine Lücke
im Gesetze. Es empfiehlt sich, die Vorschrift des § 7 des Gesetzes auch auf sie auszu-
dehnen, also die Aufnahme für genügend zu erklären. Hierfür spricht, daß die Auf-
nahme des § 7 erfolgt, nicht weil der Aufzunehmende Angehöriger dieses, sondern weil
er überhaupt Angehöriger eines Bundesstaates d. h. Reichsangehöriger ist.
88.
Die Naturalisationsurkunde darf Ausländern nur dann ertheilt
werden, wenn sie
1. nach den Gesetzen ihrer bisherigen Heimath dispositionsfähig
sind, es sei denn, daß der Mangel der Dispositionsfähigkeit
durch die Zustimmung des Vaters, des Vormundes oder
Kurators des Aufzunehmenden ergänzt wird;
2. einen unbescholtenen Lebenswandel geführt haben;
3. an dem Orte, wo sie sich niederlassen wollen, eine eigene
Wohnung oder ein Unterkommen finden;
4. an diesem Orte nach den daselbst bestehenden Verhältnissen
sich und ihre Angehörigen zu ernähren im Stande sind.
Vor Ertheilung der Naturalisationsurkunde hat die höhere Ver-
waltungsbehörde die Gemeinde bezw. den Armenverband desjenigen
Orts, wo der Aufzunehmende sich niederlassen will, in Beziehung auf
die Erfordernisse unter Nr. 3 und 4 mit ihrer Erklärung zu hören.
Von Angehörigen der Königreiche Bayern und Württemberg und des Cross--
herzogthums Baden soll, im Falle der Reziprozität, bevor sie naturalisirt werden, der
Nachweis, dass sie die Militürpflicht gegen ihr bisheriges Vuterland erfüllt haben oder
davon befreit worden sind, gefordert werden.