Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

II. Ges. über rc. Bundes= u. Staatsangehörigkeit v. 1. Juni 1870. 88. 357 
A. Die in Abs. 1 aufgestellten Erfordernisse sind zwingender Natur, so daß in Ermangelung 
auch nur eines derselben die Naturalisation nicht erfolgen darf. Der König von 
Preußen kann nicht von der Beobachtung der Landesgesetze dispensiren (Anmerk. B. 3c. 
zu Art. 62 der Verfassungsurkunde, oben S. 202), kann dies also erst recht nicht von 
der Beobachtung der reichsgesetzlichen Vorschrift, und eine Erleichterung der Aufnahme- 
bedingungen durch die Preußische Gesetzgebung ist deshalb unmöglich, weil das Reichs- 
recht nicht durch das Landesrecht gebrochen wird. Auf der anderen Seite hat, den zu 
§ 9 zu besprechenden Fall des Gesetzes vom 20. Dezember 1875 ausgenommen, kein 
Ausländer ein Recht auf Aufnahme in einen Bundesstaat und Verleihung der Reichs- 
angehörigkeit. Somit ist jede Einzelregierung befugt, dem Ausländer die Naturalisation 
zu verweigern, mögen auch sämmtliche zu erfüllenden Erfordernisse erfüllt sein, und ist, 
da die in § 8 gestellten Anforderungen nur als das Minimum anzusehen sind, ferner 
befugt, die Voraussetzungen der Aufnahme, sei es allgemein, sei es gegenüber den An- 
gehörigen einzelner Staaten, zu erschweren. Jedoch darf, da das Reichsgesetz ausweis- 
lich der Motive zum Entwurfe absichtlich davon abgesehen hat, der Nachweis eines be- 
stimmten Minimalvermögens und die Beibringung einer Aufnahmezusicherung von 
Seiten der Gemeinde, in welcher der Aufzunehmende sich künftig niederzulassen beab- 
sichtigt, nicht verlangt werden (Nordd. Reichstag 1870 Stenogr. Berichte Bd. I. S. 158). 
Der Bundesrath hat am 14. Juni 1377 (Bundesrathsprotokoll vom 14. Juni 1877 
8 323) beschlossen, daß Angehörigen der im Oesterreichischen Reichsrathe vertretenen 
Länder der Oesterreichisch-Ungarischen Monarchie die Naturalisation nur ertheilt werden 
soll, wenn der Aufzunehmende die Entlassung aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit 
durch eine Bescheinigung seiner kompetenten Heimathsbehörde nachgewiesen hat, und die 
höheren Preußischen Verwaltungsbehörden sind, im Anschluß an ältere Reskripte, durch 
Cirkularreskript des Ministers des Junern vom 7. Juli 1877 I. B. 5441 und 8. Ok- 
tober 1880 I. B. 7268 (v. Brauchitsch Die neuen Preußischen Organisationsgesetze, 
Bd. IV, 10. Aufl., S. 228) unter Benennung der zur Ausstellung solcher Bescheinigungen 
kompetenten Behörden mit entsprechender Anweisung versehen worden. Diese Anordnung 
beruht auf einer früheren, durch Austritt des Kaiserthums Oesterreich aus der Reihe der 
Deutschen Staaten nicht alterirten Vereinbarung und muß daher für zulässig erachtet werden. 
Aber sowohl diese, als auch jede weitere Setzung von Naturalisationsbedingungen durch 
die einzelnen Bundesregierungen ist schon deßhalb statthaft, weil diese das Gesuch des 
Ausländers um Naturalisation trotz Erfüllung der in § 8 gesetzten Bedingungen und 
ohne Angabe von Gründen zurückweisen dürfen, womit die Knüpfung der Bewilligung 
an die Erfüllung anderer Erfordernisse ohne Weiteres für zulässig erklärt ist. Hieraus 
ergiebt sich, daß die in Art. 17 des Freundschafts-, Handels= und Schifffahrtsvertrages 
zwischen Deutschland und Persien vom 11. Juni 1873 (Reichs-Gesetzbl. S. 351) von 
der Kaiserlich Deutschen Regierung eingegangene Verpflichtung, Persischen Unterthanen 
Naturalisationsurkunden nur unter der augsdrücklichen Bedingung der vorgängigen Zu- 
stimmung der Persischen Regierung zu ertheilen, reichsrechtlich statthaft und, da die 
einzelnen Bundesstaaten dem Auslande gegenüber von dem Kaiser vertreten werden, 
auch von diesen zu beobachten ist. Dagegen ist es nicht statthaft, die Naturalisationsurkunde 
in bedingter Weise zu ertheilen, so daß sie, wenn die Bedingung ausfällt, für nicht ertheilt 
gelten soll. Ebensowenig kann sie deshalb für nichtig erklärt werden, weil sich nach- 
träglich der Mangel einer Vorbedingung herausstellt. Mit dem Zeitpunkte der Em- 
pfangnahme der Urkunde übernimmt der Naturalisirte nach § 10 des Gesetzes alle mit 
der Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte und Pflichten, ohne daß das Gesetz der 
Möglichkeit gedenkt, diese Wirkung erst nach jenem Zeitpunkte eintreten oder jene Rechte 
und Pflichten nur zum Theil begründet werden zu lassen. Die nachträgliche Entdeckung 
eines Mangels ist, wie das Gesetz deutlich erkennen läßt, irrelevant, die Nichtigkeits- 
erklärung der einmal ertheilten Naturalisation aus diesem Grunde rechtlich ohne Wir- 
kung, das Gesetz kennt überhaupt eine Entziehung der Staatsangehörigkeit nur in den 
Fällen der §§ 20, 22. Hiermit stimmt das Urtheil des Oberverwaltungsgerichts vom 
23. Juni 1886 überein (Entscheidungen Bd. 13 S. 109). Siche auch unten Anmerk. B. 
zu Art. 10. 
B. Zu den sub Nr. 1 bis 4 aufgezählten Minimalerfordernissen der Naturalisation ist im 
Speziellen noch zu bemerken: 
1. An sich liegt dem die Naturalisation Nachsuchenden ob, den Nachweis zu führen, 
daß er nach den Gesetzen seiner Heimath verfügungsfähig ist. Es ist aber selbst- 
verständlich, daß von einem solchen Nachweise abgesehen werden kann, wenn der zu 
Naturalisirende glaubhaft darzuthun im Stande ist, daß in seiner bisherigen Hei-
	        
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