Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

III. Verordn. über r2c. des Versamml.= u. Vereinigungsrechtes v. 11. März 1850. 82. 389 
religiöser Zwecke beschränken, oder ob sie, wie dies allerdings nur zu häufig der 
Fall ist, letztere nur als Deckmantel für Bestrebungen anderer Art gebrauchen. 
Ein Widerspruch zu Art. 12 der Verfassungsurkunde liegt insofern nicht vor, als 
durch die in Art. 12 geschehene Bezugnahme auf den Art. 30 ausgesprochen wird, daß 
die Ausübung des Rechts, sich zu Religionsgesellschaften zu vereinigen und — soweit 
davon zu religiösen Zwecken Gebrauch gemacht wird, — des Rechts sich friedlich und ohne 
Waffen in gäschlossenen Räumen zu versammeln, in derselben Weise einer #ndlahe 
Regelung unterworfen werden sollte, wie dies Art. 30 hinsichtlich des Vereins= und Ver- 
sammlungsrechts im Allgemeinen verfügt (Obertribunal 11. Januar 1876, Oppenhoff 
Rechtsprechung Bd. 17 S. 14 und 1. November 1876, Goltdammer Archiv Bd. 24 
S. 675; Kammergericht 2. März 1885, Johow Jahrbuch Bd. 5 S. 273). Des Nach- 
weises, daß die betreffende Religionsgesellschaft eine Einwirkung auf öffentliche Ange- 
legenheiten bezweckt, in ihren Versammlungen öffentliche Angelegenheiten erörtert, bedarf 
es nicht. Denn das Gesetz betrachtet grundsätzlich Versammlungen, welche zu kirchlichen 
und religiösen Zwecken stattfinden, als solche, in welchen öffentliche Angelegenheiten er- 
örtert oder berathen werden sollen, und den Zweck, die Befriedigung des privaten reli- 
giösen Bedürfnisses der Vereinsmitglieder zu erleichtern, als bezweckte Einwirkung auf 
öffentliche Angelegenheiten (Obertribunal 7. April und 22. Juni 1853, Goltdammer 
Archiv Bd. 1 S. 380 und 699, 29. Juni und 15. September 1876, Oppenhoff Recht- 
sprechung Bd. 17 S. 474 und 565; Kammergericht 2. März 1885 a. a. O.). In gleicher 
Weise unterliegen natürlich auch die nicht von Vereinen oder Gesellschaften, sondern von 
einzelnen Personen veranstalteten kirchlichen und religiösen Versammlungen den Vor- 
schriften dieses Gesetzes, da §8 1 keineswegs bloß von Vereinsversammlungen, sondern 
ganz allgemein von allen Versammlungen spricht, in denen öffentliche Angelegenheiten 
crörtert werden (Kammergericht 2. März 1885 a. a. O.). Da nicht die Gemeindevertretung 
einer katholischen Kirchengemeinde, sondern nur die Kirchengemeinde selbst Korporations- 
rechte hat, diese aber nicht von der Gemeindevertretung allein, sondern zugleich und zwar 
vorzugsweise von dem Kirchenvorstande vertreten wird, so unterliegt eine von dem Vor- 
sitzenden der Gemeindevertretung berufene Versammlung den Bestimmungen dieses Ge- 
setzes selbst dann, wenn in ihr nur innere kirchliche Angelegenheiten erörtert oder be- 
rathen werden sollen, und sie hat sogar eigentliche Staatsinteressen zum Gegenstande, 
wenn ihr Zweck der ist, eine Petition über die Einführung nicht deutscher Predigten zu 
berathen (Kammergericht 21. Februar 1889, Johow Jahrbuch Bd. 9 S. 274). Dagegen 
ist ein Unterricht in der Religion ein begriffsmäßig unerläßlicher und deshalb noth- 
wendiger Bestandtheil der gemeinsamen Religionsübung. Sovweit er dies aber ist, bildet 
seine Regelung nicht einen Theil der saatlichen Ordnung des Unterrichtswesens, sondern 
in den Beziehungen des Staates zu den religiösen Ueberzeugungen seiner Angehörigen 
einen Theil der inneren Ordnung der Kirchen und sonstigen Religionsgesellschaften. 
Demgemäß kann auch gegen die mit Korporationsrechten nicht ausgestatteten Religions- 
gesellschaften nicht über die Schranken des Vereinsgesetzes hinaus präventiv eingeschritten 
werden, um sie zu hindern, in ihren Versammlungen und als Theil der gemeinsamen 
Religionsübung durch ihre Vorsteher, Prediger, Redner 2c. auch die Belehrung, den 
Unterricht über religiöse Lehren oder Meinungen an Erwachsene, wie an Kinder jeden 
Alters ertheilen zu lassen. Repressiv kann wegen des Inhalts solcher Unterweisungen — 
abgesehen von den Fällen einer nach § 5 zulässigen Auflösung der Versammlungen — 
nur auf Grund der bestehenden Verbots= und Strafgesetze eingeschritten werden (Ober- 
verwaltungsgericht 21. Januar 1891, Entscheidungen Bd. 22 S. 397). 
Sicherlich zu weit geht v. Rönne (Bd. 2 § 142 S. 159 Anmerk. 1), wenn er 
meint, daß die Religionsgesellschaften politische Vereine wären, somit die Religionsgesell- 
schaften ohne Korporationsrechte dem § 8 dieses Gesetzes unterständen. Die Religions= 
gesellschaften bezwecken eben nicht, in ihren Versammlungen politische, d. h. solche Gegen- 
stände zu erörtern, welche die Verfassung, Verwaltung, Gesetzgebung des Staates, die 
staatsbürgerlichen Rechte der Unterthanen und die internationalen Beziehungen der 
Staaten zu einander in sich begreisen. Wäre dies der Fall, unterständen sie also dem 
§ 8 des Gesetzes, so dürften sie Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge weder als 
Mitglieder aufnehmen, noch an ihren Versammlungen Theil nehmen lassen, was beides 
sie thatsächlich von jeher gethan haben und noch heute thun. Uebrigens ist auch die 
Handhabung der wirklich, anwendbaren Bestimmungen dieses Gesetzes eine gemäßigte, 
indem die Polizeibehörden angewiesen sind, die Ueberwachung der Versammlungen der 
Religionsgesellschaften ohne Korporationsrechte auf das Nothwendigste zu beschränken und 
eine Auflösung zu unterlassen (v. Rönne Bd. 2 § 142 S. 158/159 Anmerkung 4 in fine).
	        
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