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III. Verordn. ũber ꝛc. des Versamml.- u. Vereinigungsrechtes v. 11. Märzʒ 1850. 84.
der unmittelbar aus eigenem Rechte ausübende Polizeibeamte und nicht nur
der Abgeordnete der Ortspolizeibehörde. Die gesetzlichen Vorschriften, welche
von dieser handeln, finden alsdann auch unmittelbar auf ihn Anwendung.
Wenn diese Entscheidung richtig ist, so ist es einerseits schwer verständlich,
warum das Gesetz überhaupt von „Ortspolizeibehörde“ spricht, statt sich auf den
Ausdruck „Polizeibehörde“ zu beschränken und dabei eventuell die konkrete Kom-
petenzabgrenzung der Ministerial- oder Präsidialinstruktion zu überlassen. Anderer-
seits würde konsequenter Weise das höhere Polizeiorgan, also Landrath, Regierungs-
präsident, Minister des Innern befugt sein, auch bezüglich der §8§ 1, 2 die Funktionen
der Ortspolizeibehörde zu übernehmen, so daß z. B. eine auf der Nordseeinsel
Romoe anberaumte Versammlung mit rechtlicher Wirkung dem Minister angezeigt
werden könnte oder müßte. Jedenfalls ist die Entscheidung des Obertribunals
gegenüber der neueren Verwaltungsgesetzgebung nicht aufrechtzuhalten, da diese die
genannten höheren Behörden, soweit ihnen nicht die Polizei durch besondere Gesetze
übertragen ist — siehe Anmerk. D. 2 zu § 1, oben S. 383 —, nur als Aufsichts-
und Beschwerdeinstanz der lokalen Polizeiverwaltung kennt leze z. B. 88 59, 77
Abs. 2 der Kreisordnung für die Provinzen Ost= und Westpreußen, Brandenburg,
Pommern, Schlesien und Sachsen, Redaktion vom 19. März 1881, Ges.-Samml.
S. 179, Anmerk. E. oben S. 378). Ebenmäßig hat das Reichsgericht die homogene
Frage, ob ein Kreislandrath an Stelle der Ortspolizeibehörde zu einer Verhaftung
schreiten kann, durch Urtheil vom 15. Februar 1883 verneint (Entscheidungen in
Strafsachen Bd. 8 S. 107).
. Nach § 153 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind die Beamten des Polizei-- und
Sicherheitsdienstes Hülfsbeamte der Staatsanwaltschaft und in dieser Eigenschaft
verpflichtet, den Anordnungen der Staatsanwälte bei dem Landgerichte ihres Be-
zirkes und der diesen vorgesetzten Beamten Folge zu leisten. Die Bedeutung dieser
Bestimmung liegt darin, daß für die Zwecke der Strafverfolgung gewisse Klassen
der Beamten des Polizei= und Sicherheitsdienstes der Staatsanwaltschaft unterge-
ordnet werden, und dadurch eine organische Verbindung zwischen dieser
Behörde und der Polizei hergestellt wird. Jedoch nur für die Zwecke der Straf-
verfolgung, indem das Amt des Staatsanwaltes darin besteht, „wegen aller ge-
richtlich strafbaren und verfolgbaren Handlungen einzuschreiten“ (Strafprozeßordnung
§ 152), also mit Bezugnahme auf bereits verübte, nicht aber auch auf möglicher
Weise erst verübt werdende Delikte. Die Staatsanwaltschaft ist somit nicht befugt,
die in § 4 geregelte Funktion der Ortspolizeibehörde zu übernehmen oder die ihr
nach § 153 cit. unterstellten Beamten der gerichtlichen Polizei in die Versamm-
lungen zu detachiren, wogegen ihr das Recht der motivirten Requisition natürlich
zusteht, die Polizeibehörde gerade die von der Staatsanwaltschaft ausgehenden Re-
quisitionen mit besonderer Sorgfalt zu prüfen und nur aus bewegenden Gründen
zurückzuweisen haben wird. Der Minister des Innern hat durch Reskript vom
7. Dezember 1850 (Verwaltungs-Minist.-Bl. S. 378) den von der Polizeibehörde
einzunehmenden Standpunkt in folgender Weise gezeichnet:
Der Zweck der Anordnung des § 4 geht einfach dahin, etwaige strafbare
Handlungen, welche in der VLersamslung, sei es durch Wort, That oder Unter-
lassung verübt werden, zu konstatiren und die Fortsetzung der Strafthat durch
sosortige Auflösung der Versammlung zu verhindern. Es folgt hieraus, mit
Bezug auf die Stellung der Staatsanwaltschaft, daß diese, sofern sich nach
ihrem Ermessen eine angekündigte Versammlung als solche charakterisirt, bei
welcher die polizeiliche Ueberwachung nothwendig oder doch rähhlich erscheint,
befugt ist, die Polizeibehörde auf die Angemessenheit der Ueberwachung auf-
merksam zu machen und sie entweder um Ausführung dieser Maßregel oder
um Mittheilung der Gründe, welche derselben entgegenstehen, zu ersuchen. Der
§ 4 hat allerdings die Ortspolizeibehörde nur für befugt erklärt, Abgeordnete
in die Versammlung zu entsenden, und dadurch es der freien, aus der Lage
der Sache und der Verhältnisse zu schöpfenden Ueberzeugung derselben über-
lassen, ob sie von dieser Befugniß Gebrauch machen will oder nicht; daraus
folgt aber keineswegs das Recht derselben, daß sie die Requisition einer Be-
hörde, welche in Bezug auf strafbare Handlungen mit ihr den gleichen Zweck
verfolgt, ignoriren darf; es würde hierdurch das so nothwendige harmonische
Zusammenwirken beider Staatsbehörden völlig verloren gehen, während gerade
diese Behörden darauf angewiesen sind, im Einverständnisse mit einander zu