III. Verordn. über ꝛc. des Versamml., u. Vereinigungsrechtes v. 11. März 1850. § 6. 395
vorherige Verathung zur Abstimmung gebracht werden. Einen auffordern bezeichnet
eine an einen Anderen sich richtende Kundgebung, durch welche dieser in einer für ihn
erkennbaren Weise zu einem Thun oder Lassen bestimmt werden soll, und kann sowohl
ausdrücklich als auch durch konkludente Handlungen erfolgen (Obertribunal 26. Januar
1876, Oppenhoff Bd. 17 S. 53). Während also die Aufforderung in einer direkten, für
den Anderen erkennbaren Beeinflussung besteht, wird bei dem Anreizen die Veranlassung
der anderen Person indirekt durch eine Einwirkung auf deren Sinne und Leidenschaften
E uu versucht, z. B. durch Bezeichnung oder Androhung von Verachtung
Strafgesetzb. 8 210). An wie viele Menschen sie sich richtet, ob an die ganze Versamm-
lung oder an einen einzelnen, ob sie mit oder ohne Erfolg geschehen, ist bei der Auf-
sorderung sowohl, als auch bei dem Anreizen irrelevant. Inhaltlich müssen beide sich auf
eine strofare Handlung richten, also auf ein Verbrechen, Vergehen oder Uebertretung.
Da, wie oben sub A. bemerkt, den Versammlungen gegenüber die allgemeinen
Gesetze, insbesondere die Strafgesetze, in Kraft bleiben, so muß die Auflösung auch dann
als zulässig erscheinen, wenn die Reden, Anträge und Vorschläge selbst den Thatbestand
einer strafbaren Handlung bilden. Bei der Aufforderung zur Begehung eines Ver-
brechens — Strafgesetzb. § 49a — deckt sich Beides. Zu beachten ist aber gerade
hierbei, daß die Auflösung nicht obligatorisch, sondern dem Ermessen der Abgeordneten
dergelise behrde anheimgestellt ist. Vergleiche übrigens hierzu Strafgesetzbuch
ʒ 85 iio, 111.
3. Wenn in der Versammlung Bewaffnete erscheinen und der Aufforderung des Ab-
geordneten der Obrigkeit entgegen nicht entfernt werden. Bei der Anwesenheit mehrerer
Abgeordneten genügt es, wenn auch nur einer derselben die Entfernung verlangt, wie
der vom Gesetz gebrauchte Singular „des Abgeordneten“ erkennen läßt. Auf der an-
deren Seite darf aus dem Plural „Bewaffnete“ nicht gefolgert werden, daß ein einzelner
Bewaffneter geduldet werden müsse. Denn Art. 29 der Verfassungsurkunde gewährt das
Nerfammlungerecht nur „friedlich und ohne Waffen“, und nach § 7 dieses Vesetzes darf
Niemand, also auch nicht ein Einzelner, bewaffnet in einer Versammlung erscheinen.
Wegen dieses Verbotes sind die Abgeordneten nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet,
die Entfernung der Bewaffneten und zwar wenn diese nicht gutwillig gehen, die gewalt-
same Entfernung zu verlangen. Wird diesem Verlangen nicht genügt, so sind die Ab-
geordneten befugt, entweder auf Grund des in § 7 ausgesprochenen Verbotes ihrerseits
die Bewaffneten gewaltsam hinauszubringen oder die Versammlung aufzulösen.
4. Wenn der Versammlung — oder Sitzung — eines politischen Vereins Personen
weiblichen Geschlechts, Schüler und Lehrlinge beiwohnen und auf die Aufforderung des
Abgeordneten der Obrigkeit nicht entfernt werden. Dieser Auflösungsgrund fällt jedoch
bei den Versammlungen und Sitzungen von Wahlvereinen weg (§§ 8 Abs. 3, 21 Abs. 2).
C. Eine bestimmte Formel ist für die Erklärung der Auflösung nicht vorgeschrieben. Es
genügt daher, wenn die Auflösungserklärung jedem Anwesenden in unzweideutiger Weise
zur Kenntniß bringt, daß die Fortsetzung der Versammlung nicht gesaattet ist (Reichs-
gericht 16. Januar 1885, Entscheidungen in Strafsachen Bd. 11 S. 371).
D. Ein Polizeibeamter, welcher, ohne von der Ortspolizeibehörde dazu abgeordnet zu sein,
einer dem Verei#sgesetze unterworfenen Versammlung beiwohnt und diese in seiner amt-
lichen Eigenschaft als Polizeibeamter auflöst, macht sich eines ibrauche der Amts-
ewalt schuldig, weil er die Amtshandlung vorgenommen hat, ohne daß die dazu er-
forderlichen Voraussetzungen vorgelegen haben (Obertribunal 13. Juni 1860, Golt-
dammer Archiv Bd. 8 S. 708).
8 6.
Sobald ein Abgeordneter der Polizeibehörde die Versammlung
für aufgelöst erklärt hat, sind alle Anwesenden verpflichtet, sich sofort
zu entfernen. Diese Erklärung kann nöthigenfalls durch die bewaff-
nete Macht zur Ausführung gebracht werden.
A. Sind mehrere Abgeordnete der Polizeibehörde anwesend, so genügt es, daß die Auf-
lösung der Versammlung von einem derselben — „sobald ein Abgeordneter“ — aus-
gesprochen wird. Zur Angabe eines Grundes ist der Abgeordnete nicht verpflichtet, sein
Ausspruch daher auch dann sogleich vollstreckbar, wenn die Auflösung ohne Angabe
eines Grundes oder mit Angabe eines von dem Gesetze nicht approbirten oder eines