III. Verordn. über 2c. des Versamml.= u. Vereinigungsrechtes v. 11. März 1850. § 9. 405
des Vereins- und Versammlungsrechts unterliegen. Denn nicht lediglich die allgemeine
Tendenz und das letzte Ziel, sondern zugleich Form und Mittel der Vereinsbestrebungen
entscheiden darüber, ob diese politischen Charakter an sich tragen (Reichsgericht 10. No-
vember 1887, Entscheidungen in Strafsachen Bd. 16 S. 383).
D. Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des § 8 werden nach § 16 bestraft.
§ 9.
Oeffentliche Versammlungen unter freiem Himmel bedürfen der
vorgängigen schriftlichen Genehmigung der Ortspolizeibehörde.
Die Genehmigung ist von dem Unternehmer, Vorsteher, Ordner
oder Leiter derselben mindestens achtundvierzig Stunden vor der Zu-
sammenkunft nachzusuchen, und darf nur versagt werden, wenn aus
Abhaltung der Versammlung Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung zu befürchten ist. «
Soll die Versammlung auf öffentlichen Plätzen, in Städten und
Ortschaften, oder auf öffentlichen Straßen stattfinden, so hat die Orts-
polizeibehörde bei Ertheilung der Erlaubniß auch alle dem Verkehr
schuldige Rücksichten zu beachten. Im Uebrigen finden auf solche
Versammlungen die §§ 1, 4, 5, 6 und 7 Anwendung.
A. Der § 1 bezieht sich nur auf solche Versammlungen, in welchen öffentliche Ange-
legenheiten erörtert oder berathen werden sollen, ist aber in seiner Anwendung
nicht auf öffentliche, d. h. solche Versammlungen beschränkt, zu denen der Zutritt
Jedermann freisteht. Wenn die Versammlung eine nicht öffentliche ist, ist es zur An-
wendung des § 1 ebenfalls irrelevant, ob sie unter freiem Himmel oder in — nicht nur
in der Länge und Breite, sondern auch in der Höhe — geschlossenen Räumen stattfindet.
Eine Versammlung, in welcher öffentliche Angelegenheiten nicht erörtert oder berathen
werden sollen, unterliegt, wofern sie nur nicht eine öffentliche ist und unter freiem
Himmel stattfindet, dem Vereinsgesetz nur dann, wenn sie die Versammlung eines poli-
tischen Vereins ist, §3 8. Dagegen bedarf nach § 9 eine öffentliche Versammlung unter
freiem Himmel nicht blos der vorherigen Anzeige, sondern der vorgängigen schriftlichen
Genehmigung der Ortspolizeibehörde. Einer solchen Genehmigung hedüchen alle öffent-
lichen Versammlungen unter freiem Himmel, nicht blos diejenigen, welche die Erörterung
oder Berathung öffentlicher Angelegenheiten bezwecken, § 1, oder von einem politischen
Verein veranstaltet werden, § 8 (Obertribunal 3. Oktober 1862, Oppenholf Recht-
sprechung Bd. 3 S. 48; Kammergericht 26. Januar 1885, Johow Jahrbuch Bd. 5
S. 281; Oberverwaltungsgericht 1. Oktober 1890, Entscheidungen Bd. 20 S. 432). Die
Genehmigung, welche dem Abgeordneten der Polizeibehörde vorgelegt werden kann
(§ 5), also schriftlich abgefaßt sein muß, ist nicht von jedem Beliebigen, sondern von dem
Unternehmer, Vorsteher, Ordner oder Leiter der Versammlung und zwar mindestens
achtundvierzig Stunden vor dem Beginn derselben nachzusuchen. Der Nachsuchende kann,
wenn ihm die Versagung der Genehmigung unbegründet erscheint, die Beschwerde ein-
legen, bezw. die Klage im Verwaltungsstreitverfahren erheben. Die Ansicht der Orts-
polizeibehörde bezw. der Beschwerde= und Verwaltungsstreitbehörde ist auch für den
Strafrichter maßgebend. Letzterer hat also nicht zu prüfen, ob die nachgesuchte Ge-
nehmigung aus einem genügenden Grunde versagt worden ist (Oberappellationsgericht
zu Berlin 3. Mai 1873, Oppenhoff Rechtsprechung Bd. 14 S. 339).
Auch religiöse Vereine ohne Korporationsrechte für kirchliche Zwecke bedürfen zu
Versammlungen unter freiem Himmel vorgängiger schriftlicher Genehmigung der Orts-
polizeibehörde (Obertribunal 11. Januar 1876, Goltdammer Archiv Bd. 24 S. 63;
Kammergericht 21. Dezember 1891, Johow Jahrbuch Bd. 12 S. 179).
Der Versagung der Genehmigung steht das nachträgliche Verbot.-- der Versamm-
lung gleich, § 17 Abs. 3, welches ebensowenig wie jene Versagung an eine bestimmte
Form gebunden ist, aber zweckmäßig (siehe § 17 Abs. 3) in ortsüblicher Weise öffentlich
bekannt gemacht wird.