Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

V. Das Abgeordnetenhaus. 1. Verordn. v. 30. Mai 1849. 88 27, 28. 467 
8 27. 
Der Wahlkommissar beruft die Wahlmänner mittelst schriftlicher Ein— 
ladung zur Wahl der Abgeordneten. Er hat die Verhandlungen über die 
Urwahlen nach den Vorschriften dieser Verordnung zu prüfen, und wenn er 
einzelne Wahlakte für ungültig erachten sollte, der Versammlung der Wahl- 
männer seine Bedenken zur endgültigen Entscheidung vorzutragen. Nach Aus- 
schließung derjenigen Wahlmänner, deren Wahl für ungültig erkannt ist, 
schreitet die Versammlung sofort zu dem eigentlichen Wahlgeschäfte. 
Außer der vorgedachten Erörterung und Entscheidung über die etwa 
gegen einzelne Wahlakte erhobenen Bedenken dürfen in der Versammlung keine 
Diskussionen stattfinden, noch Beschlüsse gefaßt werden. 
A. Nach Art. 78 Abs. 1 der Verfassungsurkunde (oben S. 229) prüft das Abgeordneten- 
haus die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet darüber. Dieses Recht der 
Prüfung und Entscheidung ist in der Verfassungsurkunde nicht begrenzt, erstreckt sich 
also auch auf die Prüfung der Urwahlen. Hiermit steht der § 27 Abs. in Widerspruch. 
Da die ganze Verordnung vom 30. Mai 1849 durch die Verfassungsurkunde selbst als 
in Kraft bestehend anerkannt ist — Anmerk. B. zum Eingange, oben S. 460 —, so muß 
sich der Widerspruch als ein nur scheinbarer nachweisen laßen! Ebenso wie die Mitglieder 
des Abgeordnetenhauses sich gegenseitig vor einander legitimiren und die von dem Hause 
über die Legitimation seiner einzelnen Mitglieder getroffene Entscheidung von jeder 
weiteren Nachprüfung Seitens der Krone unabhängig ist, haben auch die Wahlmänner 
sich gegenseitig vor einander zu legitimiren und ist die von dem Wahlmännerkollegium über 
die Legitimation der einzelnen Wahlmänner getroffene Entscheidung von jeder weiteren 
Nachprüfung Seitens des Wahlkommissars und überhaupt der Organe der Regierung 
dergestalt unabhängig, daß diese sich bei derselben zu beruhigen haben und nicht etwa 
deshalb, weil sie ihrerseits die Entscheidung für unrichtig halten, eine andere Wahl 
veranstalten dürfen. Eine solche Nachprüfung steht eben nur dem Abgeordnetenhause zu. 
Der hier vorgetragenen Ansicht sind auch v. Rönne Bd. 1 § 60 S. 257 An- 
merk. 8 und Arndt S. 240 Anmerk. zu § 27. Damit stimmt überein die Praxis des 
Abgeordnetenhauses, welches übrigens mehrfach über diese Frage debattirt hat. Ebenso 
stimmt damit überein die Praxis der Staatsregierung, da diese stets die gesammten 
Wahlakten, nicht bloß soweit sie die Wahlmännerversammlung betreffen, dem Abgeord- 
netenhause einreicht. 
B. Abs. 2 ist nur mit Beschränkung aufzufassen. Wenn sich herausstellt, daß die Versamm- 
lung an einem unheilbaren Fehler leidet, z. B. durch ein Versehen des Wahlkommissars 
ein Theil der Wahlmänner zu einer anderen Stunde oder in ein anderes Wahllokal ge- 
laden ist, so kann die Versammlung allerdings der Sachlage entsprechende Beschlüsse 
fassen, ja sogar, wenn das Versehen unheilbar und möglicher oder wahrscheinlicher 
Weise von Einfluß auf das Wahlresultat ist, beschließen, von der Wahl dieses Mal 
ganz abzustehen. v 
g 268. 
Der Tag der Wahl der Abgeordneten ist von dem Minister des Innern 
festzusetzen. 
In Fällen der Ablehnung oder Nichtwählbarkeit hat der Regierungspräsident 
und für Berlin der Oberpräsident sofort eine neue Wahl zu veranlaften, bei welcher 
nöthigenfalls eine neue Abschrift der Wahlmännerliste zur Eintragung der Abstimmung 
u benutzen ist, 88 30 bezw. 31 der Reglements. Der Fall, daß ein Mandat während 
der Sitzungsperiode erledigt wird, ist weder von dieser Verordnung, noch von den Reg- 
lements ins Auge gefaßt; es ist daher anzunehmen, daß in diesem Falle der Tag von 
dem Minister des Innern zu bestimmen z ebenso Arndt S. 240 Anmerk. zu § 28, 
wogegen v. Rönne Rd. 1 § 60 S. 253 Anmerk. 2 den Regierungs= oder Oberpräsi- 
denten will. # 
Ein Feiertag ist der Wahltag nicht. 
Siehe im Uebrigen die Anmerkungen zu 8 17, oben S. 464.
	        
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