I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 3. 49
einen wesentlichen Bestandtheil der Verfassung anzusehenden Gesetzes vom 31. Dezember
1842 enthalten sei. Das gedachte Gesetz wurde demnächst in das Jadegebiet durch Ver-
ordnung vom 20. August 1855 (Ges.-Samml. S. 598), in die vormals Bayerische Enklave
Kaulsdorf durch Verordnung vom 22. Mai 1867 (Ges.-Samml. S. 729) und in das
Großherzoglich Hessische Oberamt Meisenheim durch Verordnung vom 20. September
1867 (Ges.-Samml. S. 1534), nicht jedoch in die übrigen 1866 mit der Monarchie ver-
einigten Territorien eingeführt, für welche die bisher daselbst geltenden gesetzlichen Be-
stimmungen in Kraft blieben, so daß schließlich innerhalb der Monarchie neun verschiedene
Gesetzgebungen über Erwerb und Verlust der Staatsaugehörigkeit bestanden. Auf Grund
des Art. 4 Nr. 1 der Verfassung des Norddeutschen Bundes erging alsdann für den
Norddeutschen Bund das — später auf das ganze Reich ausgedehnte — Gesetz
über die Erwerbung und den Verlust der Bundes= und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni
1870 (siehe unten Nr. II), durch welches die ganze Materie in für sämmtliche Deutsche
Bundesstaaten maßgebender Weise geregelt wurde.
Zu unterscheiden sind die Privatrechte und die staatsbürgerlichen Rechte. Die ersteren
werden vom Staate nicht gewährt, sondern nur geschützt und zwar auch, wenn sie einem
Nichtpreußen zustehen. Die letzteren, die staatsbürgerlichen: Fhte, sind diejenigen —
öffentlichen — Rechte, welche dem Staatsangehörigen wegen seiner rechtlichen Eigenschaft
als Theilnehmer der Staatsgenossenschaft vom Staate gewährt werden. Sie zerfallen
wieder in
1. die staatsbürgerlichen Rechte im engeren Sinne oder die eigentlichen politischen
Rechte, droits politiques, d. h. diejenigen Rechte, welche sich auf die unmittelbare
Theilnahme an dem Staats= und Gemeindeleben beziehen;
2. die bürgerlichen Rechte, droits civils.
Die politischen Rechte setzen das Vorhandensein gewisser, durch die Verfassung
oder das Gesetz (z. B. Verfassungsurkunde Art. 70, 74) näher bestimmter Erfordernisse
voraus und gliedern sich in die
1. Theilnahme an der Volksvertretung (aktives und passives Wahlrecht):
2. Fähigkeit, bei der Ausübung der Gerichtsbarkeit (als Schiedsmann, Handelsrichter,
Schöffe, Geschworener) mitzuwirken;
3. Fähigkeit zur Erlangung von Staatsämtern:
4. Theilnahme an den Funktionen der Selbstverwaltung.
Es fragt sich, ob die staatsbürgerlichen Rechte im weiteren Sinne auch dem
Nichtpreußen zustehen. Diese Frage ist zu verneinen, wenn es sich um den Angehörigen
eines nicht zum Deutschen Reiche gehörigen Staates handelt. Handelt es sich dagegen
um Reichsangehörige, so bestimmt die Reichsverfassung in
Art. 3 Abs. 1
Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung, daß
der Angehörige (Unterthaun, Staatsbürger) eines jeden Bundesstaates in jedem anderen
Bundesstaate als Juländer zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum
Gewerbebetriebe, zu öffentlichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur
Erlangung des Staatsbürgerrechtes und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen
Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in
Betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist.
Hiernach giebt es ein Reichsindigenat und ein Einzelstaatsindigenat, und zwar ist
nur derjenige ein Reichsangehöriger, der die Eigenschaft als Einzelstaatsangehöriger
besitzt. Daraus kann nicht gefolgert werden, daß der Reichsangehörige zugleich Staats-
angehöriger jedes einzelnen Bundesstaates ist, wodurch das Staatsindigenat beseitigt
sein würde. Vielmehr hat jedes Verhältniß seine eigenthümlichen Rechte und Pflichten,
wobei die staatsbürgerlichen Rechte im engeren Sinne, die s. g. politischen Rechte, nur
den Angehörigen des bestimmten Staates zukommen. Es kann gar kein Zweifel darüber
obwalten, daß z. B. Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses nur ein Preußischer
Staatsbürger sein kann. Die obige Frage ist somit ausnahmslos zu verneinen bezüglich
der politischen Rechte. Wegen der bürgerlichen Rechte siehe Anmerk. A zu Art. 4
Nach dem Vorgetragenen gehen mit der Preußischen Staatsangehörigkeit auch die poli-
tischen Rechte verloren. Außerdem kommt noch in Betracht der strafrechtliche Verlust
politischer Rechte (der bürgerlichen Ehrenrechte) nach §§ 31 —35 Strafgesetzb.
Schwarp, Preußische Verfassungsurkunde. 4