I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1860. Art. 4. 51
Dies ist der Sinn des Art. 4. Die Bestimmung bezieht sich also nur auf die
politischen, nicht auf die socialen und die privatrechtlichen Standesunterschiede, stellt
nicht sociale oder privatrechtliche Gleichheit, sondern ein allgemeines, gleichberechtigtes
Staatsbürgerthum her, in welches der Adel völlig aufgeht, so daß ihm nur die Befugniß
zur Führung der Adelsprädikate bleibt, deren unbefugte Annahme nach § 360 Nr. 8
Strafgesetzb. strafbar ist.
Von diesem Grundsatze, daß alle Preußen vor dem Gesetze gleich sind und Stan-
desvorrechte nicht stattfinden, giebt es gleichwohl eine dreifache Ausnahme, nämlich:
I. in Betreff der Mitglieder des Königlichen Hauses,
II. in Betre der Mitglieder des Hohenzollernschen Fürstenhauses,
III. in Betreff der Familien des hohen Adels,
und zwar beruhen diese Vorrechte theils auf dem Landes-, theils auf dem Reichsrecht.
I. Die Mitglieder des Königlichen Hauses.
Diese Ausnahme ist in dem Wesen der Erbmonarchie begründet, weil aus der Kö-
niglichen Familie das Staatsoberhaupt verfassungsmäßig hervorgeht.
Zu dem Königlichen Hause gehören außer dem Könige selbst als dem Oberhaupte
desselben
a) die Königin;
b) die — ebenbürtigen — Königlichen Wittwen;
c) die Prinzen und Prinzessinnen, welche von dem Könige oder von einem Descen-
deuten des gemeinschaftlichen Stammvaters des Königlichen Hauses durch anerkannte,
ebenbürtige, rechtmäßige Ehe in männlicher Linie abstammen;
d) die — ebenbürtigen — Gemahlinnen der Prinzen und ihre Wittwen während des
Wittwenstandes.
Die Prinzessinnen treten durch ebenbürtige Vermählung mit einem Gemahl, wel-
cher nicht Mitglied des Hauses ist, aus dem Königlichen Hause und werden Mitglied des
Hauses ihres Gemahls.
Den Mitgliedern des Königlichen Hauses kommen folgende Vorrechte zu:
1. Befreiung von der Militärpflicht (Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Kriegs-
dienste, vom 9. November 1867 § 1, Bundes-Gesetzbl. des Nordd. Bundes S. 131);
2. Befreiung von der Eingquartierungslast im Frieden bezüglich der ihnen gehörigen
Gebäude, sofern dieselben für immer oder zeitweise zum Wohnsitze ihrer Eigenthü-
mer bestimmt sind (Gesetz, betreffend die Quartierleistung für die bewaffnete Macht
während des Friedenszustandes, vom 25. Juni 1868 § 4, Bundes-Gesetzbl. des
Nordd. Bundes S. 525);
3. Befreiung von der Vorspannleistung bezüglich der für ihren Hofhalt bestimmten
Pferde (Gesetz über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Frieden,
vom 13. Februar 1875 § 3, Reichs-Gesetzbl. S. 52);
4. Befreiung von den staatlichen, nicht als Verbrauchssteuern charakterisirten Steuern
und Abgaben und einschließlich der Stempelabgaben (Kabinetsordre vom 7. März 1845,
betreffend die Stempelfreiheit der Mitglieder des Königlichen Hauses, Hoyer die
Preußische Stempelgesetzgebung, 1. Aufl., S. 70) und von der kommunalen Einkommen-
steuer, von den kommunalen Naturaldiensten aber nur, soweit dieselben nicht auf den
Grundstücken lasten Kommnnalabgabengesetz vom 14. Juli 1893 §§ 40 Nr.5, 68, Ges.=
Samml. S. 152). Von der kommunalen Grundbesitzsteuer sind nur die Königlichen
Schlösser einschließlich der zugehörigen Nebengebäude, Hofräume und Gärten befreit
(ebenda § 24 sub u); 6
5. Freiheit von Porto= und Telegraphirungsgebühren für den König, die Königin
und die Königin-Wittwe (Gesetz, betreffend die Portofreiheiten im Gebiete des Nord-
deutschen Bundes, vom 5. Juni 1869 § 1, Bundes-Gesetzbl. des Norddeutschen
Bundes S. 141 und Verordnung, betreffend die gebührenfreie Beförderung von
Telegrammen, vom 2. Juni 1877 § 1 Nr. 1, Reichs-Gesetzbl. S. 524);
6. Bevorzugter Gerichtsstand. In Prozessen haben die Mitglieder des Königlichen
Hauses als Beklagte ihren persönlichen Gerichtsstand in erster und zweiter Instanz
bei dem mit dem Kammergericht verbundenen Geheimen Justizrath. Als dritte
Instanz fungirt das Reichsgericht. Siehe unten Art. 59 Anmerk. D;
7. Erleichterungen bezüglich der Eidesleistungen und Vernehmungen im Civil= und
Strafprozeß (Civilprozeßordnung §§ 196, 310, 441, 144; Strafprozeßordnung 8§ 71).
Außerdem gelten die für die Vermögensverwaltung bestehenden Behörden im Sinne
der Vorschriften der Civilprozeßordnung als gesetzliche Vertreter der Mitglieder des
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