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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 4.
Verhältnisse, abgeschlossen. Ein Theil der Vorrechte wurde jedoch durch die Gesetzgebung
der Jahre 1848 und 1849, und durch Art. 4 Satz 2 der Verfassungsurkunde „Standes-
vorrechte finden nicht statt“ die ganze auf hochadliger Geburt beruhende Ausnahmestellung
der reichsständischen Familien beseitigt; nur die Art. 41 und 65 ließen noch eine Rücksicht-
nahme auf die bisherige Stellung des hohen Adels walten. Schon nach mehreren Jahren
begannen aber Versuche einer Restauration, welche zu nachstehendem Gesetze führten:
Gesetz, betreffend die Deklaration der Verfassungsurkunde
vom 31. Januar 1850, in Bezug auf die Rechte der mittelbar ge-
wordenen Deutschen Reichsfürsten und Grafen. Vom 10. Juni 1854.
(Ges.-Samml. S. 363.)
Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen
2c. 2c. verordnen unter Zustimmung der Kammern, was folgt:
Die Bestimmungen der Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 stehen
einer Wiederherstellung derjenigen durch die Gesetzgebung seit dem 1. Jannar 1848
berlesten Rechte und Vorzüge nicht entgegen, welche den mittelbar gewordenen
Deutschen Reichsfürsten und Grafen, deren Besitzungen in den Jahren 1815 und 1850
der Preußischen Monarchic einverleibt oder wieder einverleibt worden, auf Grund
ihrer früheren staatsrechtlichen Stellung im Reiche und der von ihnen besessenen
Landeshoheit zustehen, und namentlich durch den Artikel XIV der Deutschen Bundes-
akte vom 8. Juni 1815 und durch die Artikel 23 und 43 der Wiener Kongreßakte
vom 9. Juni 1815, sowie durch die spätere Bundesgesetzgebung zugesichert worden
sind, sofern die Betheiligten sie nicht ausdrücklich durch rechtsbeständige Verträge
aufgegeben haben. Diese Wiederherstellung erfolgt durch Königliche Verordnung.
Urkundlich unter Unserer höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem
Königlichen Insiegel.
Gegeben Berlin, den 10. Juni 1851.
L. S. Friedrich Wilhelm.
v. Manteuffel. v. d. Heydt. Simons. v. Raumer. v. Westphalen.
v. Bodelschwingh. Graf v. Waldersee.
Die in diesem die Verfassungsurkunde angeblich nur deklarirenden, in Wirklichkeit
aber abändernden Gesetze vorgesehene Wiederherstellung erfolgte durch die Verordnung,
die Ausführung der in Folge des Gesetzes vom 10. Juni 1854 wegen Deklaration der
Verfassungsurkunde (Ges.-Samml. S. 363) noch erforderlichen Maßregeln zur Herstellung
des bundesrechtlich gewährleisteten Rechtszustandes der vormals reichsunmittelbaren
Fürsten betreffend, vom 12. November 1855 (Ges.-Samml. S. 688) und die ebenfalls am
12. November 1855 ergangene Verordnung, die Wiederherstellung des privilegirten Gerichts-
standes für die mittelbar gewordenen Deutschen Reichsfürsten und Grafen betreffend
(Ges.-Samml. S. 686). Außerdem wurden mit den sämmtlichen dem Preußischen Staate
angehörigen hochadeligen Häusern Unterhandlungen behufs Abschließung von Verträgen
über jene Wiederherstellung gepflogen, welche mit den meisten zum Abschluß förmlicher
Verträge führten. Die in diesen Verträgen festgesetzten Entschädigungen wurden durch
das Gesetz, betreffend die Ordnung der Rechtsverhältnisse der mittelbaren Deutschen
Wichstieften und Grafen, vom 15. März 1869 (Ges.-Samml. S. 490) bewilligt, zu-
gleich aber bestimmt, daß die Wiederherstellung der durch die Gesetzgebung seit dem
Jahre 1848 verletzten Rechte und Vorzüge fortan nicht mehr durch Königl. Verordnung,
sondern nur im Wege der Gesetzgebung erfolgen dürfe. Solcher Gesetze sind bisher nur
wei — mit dem Fürsten von Sayn-Wittgenstein-Berleburg und dem Fürsten von Bentheim-
ecklenburg — erlassen worden (unterm 25. Oktober 1878, Ges.-Samml. S. 305 und 311).
Eine besondere Stellung nehmen ein die standesherrlichen Häuser in den 1866 er-
worbenen Landestheilen. Auf die Rechtsverhältuisse derselben kommen nämlich in An-
wendung die Gesetze des Deutschen Bundes, die auf Grund derselben in jenen Landestheilen er-
gangenen Gesetze, Verordnungen und Rezesse, die Verfassungsurkunde vom 31. Jannar 1850,
die Preußische Gesetzgebung seit der Einverleibung, endlich die Gesetzgebung des Nord-
deutschen Bundes und des Deutschen Reiches. Dagegen kommt nicht auf sie in Anwendung
die Preußische Gesetzgebung in der Zeit von der Emanation der Verfassungsurkunde
bis zur Einverleibung, also auch nicht das Gesetz vom 10. Juni 1854, welches zudem
ausgesprochener Maßen sich nur auf die in den Jahren 1815 und 1850 einverleibten
Standesherren bezieht. Durch Art. 109 würden mit dem Tage, an welchem für die ge-
dachten Gebietstheile die Verfassungsurkunde in Kraft getreten ist, sämmtliche Privilegien
dieser Standesherren insoweit aufgehoben sein, als sie mit der Verfassungsurkunde in
Widerspruch stehen, wenn nicht das Gesetz, betreffend die Vereinigung des