I. Verfassungsurkunde vom 31. Jannar 1850. Art. ö. 50
Der Regierungspräsident, der Landrath, die Ortspolizeibehörde und der
Gemeinde-(Guts--Vorsteher (Vorstand) sind berechtigt, die von ihnen in Aus-
übung der obrigkeitlichen Gewalt getroffenen, durch ihre gesetzlichen Befugnisse
gerechtfertigten Anordnungen durch Anwendung folgender Zwangsmittel
durchzusetzen.
1. Die Behörde hat, sofern es thunlich ist, die zu erzwingende Handlung
durch einen Dritten ausführen zu lassen und den vorläufig zu bestimmen-
den Kostenbetrag im Zwangswege von den Verpflichteten einzuziehen.
2. Kann die zu erzwingende Handlung nicht durch einen Dritten geleistet
werden, oder steht es fest, daß der Verpflichtete nicht im Stande ist, die
aus der Ausführung durch einen Dritten entstehenden Kosten zu tragen,
oder soll eine Unterlassung erzwungen werden, so sind die Behörden be-
rechtigt, Geldstrafen anzudrohen und festzusetzen und zwar
a) die Gemeinde-(Guts-Vorsteher bis zur Höhe von fünf Mark;
b) die Ortspolizeibehörden und die städtischen Gemeinde--Vorsteher (-Vor-
stände) in einem Landkreise bis zur Höhe von sechzig Marki
J) die Landräthe, sowie die Polizeibehörden und Gemeinde-Vorsteher
(Vorstände) in einem Stadtkreise bis zur Höhe von einhundert-
fünfzig Mark;
d) der Regierungspräsident bis zur Höhe von dreihundert Mark.
Gleichzeitig ist nach Maßgabe der §8§ 28, 29 des Strafgesetzbuchs
für das Deutsche Reich die Dauer der Haft festzusetzen, welche für den
Fall des Unvermögens an die Stelle der Geldstrafe treten soll. Der
Höchstbetrag dieser Haft ist
in den Fällen zu a —= Ein Tag,
7’ 77 ’’ 7y b — Eine Woche,
» » » »C= Zwei Wochen,
„ 4 — Vier Wochen.
Der Ausführung durch einen Dritten (Nr. 1), sowie der Festsetzung
einer Strafe (Nr. 2) muß immer eine schriftliche Androhung vorhergehen;
in dieser ist, sofern eine Handlung erzwungen werden soll, die Frist zu
bestimmen, innerhalb welcher die Ausführung gefordert wird.
3. Unmittelbarer Zwang darf nur angewendet werden, wenn die Anordnung
ohne einen solchen unausführbar ist.
Unter den „gesetzlichen Befugnissen“ der genannten Behörden im Sinne dieser Vor-
schrift sind keineswegs nur solche zu verstehen, welche durch besondere Gesetzesbestimmung aus-
gesprochen sind, vielmehr kommt es darauf an, ob die Angelegenheit, in welcher der
Zwang ausgeübt wird, gesetzlich zum Ressort der zwingenden Behörde gehört oder die
Zuständigkeit derselben überschreitet. Zu beachten ist hierbei, daß das Recht, auf be-
stimmten Gebieten Anordnungen zu treffen, zugleich das Recht in sich schließt, Vorver-
fügungen zu treffen, um festzustellen. ob für solche Anordnung eine Veranlassung vorliegt,
also Ermittelungen anzustellen, Auskunft zu erfordern u. s. w. Jusbesondere ist inner-
halb dieser Grenzen die Behörde auch befugt, Vorladungen zur protokollarischen Ver-
nehmung ergehen zu lassen und diese mit der Androhung einer Exekutivstrafe zu verbinden
(Oberverwaltungsgericht 8. Oktober 1887, Entscheidungen Bd. 15 S. 423). Das Aus-
kunftsverlangen stellt sich in diesem Falle regelmäßig als polizeiliche Verfügung im Sinne
des § 127 des Landesverwaltungsgesetzes dar und ist demgemäß mit der Beschwerde bei
der Polizeianfsichtsbehörde und mit nachfolgender Klage oder wahlweise von Haus aus
mit der Klage im Verwaltungsstreitverfahren anfechtbar.
Die Frage, ob eine Exekutivstrafe, also ein Zwangsmittel in der Form der
Androhung einer Geldstrafe mit eventueller Umwandlung in Haftstrafe, auch dann zu-
lässig ist, wenn die Handlung gesetzlich bereits mit Strafe bedroht ist, muß, falls das
Gesetz es nicht ausdrücklich zuläßt, verneint werden, weil in der generellen Strafbe-
stimmung dasjenige Mittel zur Verhütung der strafbaren Handlung liegt, welches da, wo
es an einer generellen Bestimmung fehlt, in der Androhung einer Exekutivstrafe zu finden
ist. Hierbei macht es zwar keinen Unterschied, ob die Verhütung einer einzelnen Handlung
oder mehrerer öfter wiederkehrender, ben gleichen Zweck verfolgender Handlungen in
Frage steht. Wenn dagegen die Exekutivstrafe die Beseitigung eines dauernden gesetz-
ddrigen Zustandes bezweckt, so verfolgt sie einen anderen Tuoech als die für die einzelne
Handlung angedrohte Strafe, und ist neben dieser zulässig. So können gegen den weiteren
Betrieb eines nichtkonzessionirten Schankgewerbes nicht Exekutivstrafen angedroht werden,