I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 5. 61
foschung strafbarer Handlungen alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu
treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten (Strafprozeßordnung § 161). Sie
sind somit zur zwangsweisen Sistirung eines Verdächtigen Zwecks seiner Vernehmung
und eventuellen vorläufigen Festnahme befugt, haben aber natürlich kein Mittel, den
Sistirten zu Aussagen zu zwingen (Strafgesetzbuch § 343). Sie sind befugt, Zeugen und
Sachverständigen vorzuladen, aber nicht befugt, dieselben durch Exekutivstrafen zum Er-
scheinen zu nöthigen, geschweige zwangsweise zu sistiren, da die Pflicht zum Zengnisse,
d. h. zur Befolgung ordnungsmäßig ergangener Ladung durch Erscheinen vor der in der
Ladung bezeichneten Behörde, sowie durch Auskunftsertheilung in untrennbarer Verbindung
mit dem Rechte der Behörde steht, die Erfüllung dieser Pflicht gegen den Vorgeladenen
zu erzwingen, und dieses Recht nur den Gerichtsbehörden, nicht aber den Behörden und
Beamten des Polizei= und Sicherheitsdienstes zusteht (Strafprozeßordnung 88 50, 69).
Im Uebrigen dürfen sie sich der durch § 132 des Landesverwaltungsgesetzes gewährten
Zwangsbefugnisse bedienen. Ihre Anordnungen sowohl, als die damit verbundenen
Zwangsandrohungen sind aber nicht mit der Beschwerde bei der vorgesetzten Verwaltungs-
behörde oder mit der Verwaltungsklage, sondern ausschließlich mit der Beschwerde bei
der Staatsanwaltschaft anufechtbar.
Bei dem Erlaß polizeilicher Strafverfügungen (Strafprozeßordnung §§ 453 bis
458 und Gesetz, betreffend den Erlaß polizeilicher Strafverfügungen wegen Uebertretungen,
vom 23. April 1883, Ges.-Samml. S. 65) ist die Stellung der Polizeibehörden derienigen
der soeben dargelegten der Beamten des Polizei= und Sicherheitedienstes in der vor-
liegenden Beziehung gleich. Wenn daher ein geladener Zeuge nicht erscheint, so sind sie,
gerade wie in dem Falle, wenn der auf die Ladung erschienene Zeuge seine Aussage ver-
weigert, ohne weitere Zwangsmittel und können dieselben auch nicht auf dem Umwege
einer Requisition des Amtsrichters oder landgerichtlichen Untersuchungsrichters erlangen,
sondern sind gehalten, die Sache zur gerichtlichen Erledigung an die Staatsanwaltschaft
abzugeben. Besonders geordnet ist das Verfahren wegen Zuwiderhandlungen gegen die
Zollgesetze. Das die Zuwiderhandlung untersuchende Hauptzoll- und Steneramt ist nicht
befugt, den Angeschuldigten und die Zeugen zwangsweise zu sistiren. Erscheint der An-
geschuldigte auf die Vorladung nicht, oder verweigert er die Auslassung, so ist die Sache
zur gerichtlichen Untersuchung und Entscheidung abzugeben. Dagegen sind die Zeugen
verbunden, den an sie ergehenden Vorladungen Folge zu leisten, und werden, wenn sie
sich dessen weigern, auf Requisition des Zoll= oder Steueramtes durch das Gericht in
gleicher Weise, wie bei gerichtlichen Vorladungen, angehalten (Gesetz wegen Untersuchung
und Bestrafung der Zollvergehen vom 23. Januar 1838 §§ 28 ff., Ges.-Samml. S. 78;
Ordnung für das Verfahren bei Entdeckung und Untersuchung von Zuwiderhandlungen
gegen die Zollgesetze in den Regierungsbezirken Wiesbaden und Cassel, dem vormaligen
Königreich Hannover und den Herzogthümern Holstein und Schleswig, vom 29. Juli
1#867, Ges.-Samml. S. 1270; Strafprozeßordnung §§ 453 bis 155, 459 bis 463; Ein-
führungsgesetz zur Strafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 § 6 Nr. 3, Reichs-Gesetzbl.
S. 346/. Dagegen ist die Stellung der Verwaltungsbehörde, näher der Polizeibehörde
eine andere da, wo sie rein als solche auftritt. Das Amt der Polizei wird zutreffend
von dem Allgem. Landrecht in § 10 II. 17 dahin formulirt:
Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung,
und zur Abwendung der dem Publiko, oder einzelnen Mitgliedern desselben bevor-
stehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizei.
Der § 132 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883
erklärt die Polizeibehörde für berechtigt, ihre polizeilichen Verfügungen durch Anwendung
der gesetzlichen Zwangsmittel durchzusetzen, und benennt als äußerstes Zwangsmittel den
„unmittelbaren Zwang“. Die Befugniß, einen Renitenten zwangsweise vorführen zu
lassen, ist zwar nicht in gesondertem Ausdrucke ertheilt, ist aber in dem „unmittelbaren
Zwange“ enthalten. Zudem hieße es die Thätigkeit der Polizeibehörde, zu der das Gesetz
sie beruft, geradezu illusorisch machen, wollte man ihr die Mittel, ohne welche eine solche
nicht möglich ist, lediglich um deshalb versagen, weil dieselben nicht speziell und aus-
drücklich im Gesetze bezeichnet sind. Wie die Befugniß zum Zwange überhaupt, so ist
auch die Befugniß zur zwangsweisen Gestellung ein Ausfluß der der Polizeibehörde bei-
gelegten Exekutivgewalt. Das — zur Ausführung des Art. 5 ergangene — Gesetz zum
Schutze der persönlichen Freiheit vom 12. Februar 1850 hat die — von einer Verhaftung
oder vorläufigen Festnahme wesentlich verschiedene — Zwangsgestellung gar nicht berührt,
und durch die Vornahme einer solchen wird Art. 5 nicht verletzt (Obertribunal 25. März
1870 in Oppenhoff Rechtsprechung Bd. 9 S. 198, und 20. Juni 1870, Goltdammer