Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

62 
I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 5. 
Archiv Bd. 18 S. 286; Reichsgericht 23. März und 24. September 1880, 11. Januar 
und 13. April 1881, 19. Juni 1890, Entscheidungen in Strafsachen Bd. 1 S. 331, Bd. 2 
S. 262, Bd. 3 S. 185, Bd. 4 S. 102, Bd. 21 S. 10; Kammergericht 30. September 
1880, Johow Jahrbuch Bd. 1 S. 231). 
Ueber die oben berührte Exekutivgewalt der Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft 
ist Seitens des Ministers bes Innern an die Regierungspräsidenten und den Polizei- 
präsidenten zu Berlin unterm 21. Mai 1892 sub II 5280 eine besondere Verfügung 
ergangen. Dieselbe basirt aber nicht auf Rechts-, sondern auf Zweckmäßigkeitsgründen 
und übersieht dabei, daß zwischen dem Angeschuldigten auf der einen und dem Zeugen 
bezw. Sachverständigen auf der anderen Seite ein großer Unterschied, gegenüber den 
letzteren die Zwangemittel ansschließlich in die Hand des Gerichts gelegt, und gegen- 
über den Sachverständigen selbst das Gericht auf das Zwangsmittel der Geldstrafe be- 
schränkt, nicht aber zur Verhängung der Haftstrafe und zur Vorführung befugt ist (Straf- 
prozeßordnung § 77). Daß der Justizminister mit Abs. 4 Satz 2 einverstanden sei, ist 
schwer an3zunehmen. 
Die Verfügung selbst lautet: 
Berlin, den 21. Mai 1892. 
Nach § 153 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Januar 1877 (R.-G.-Bl. 
S. 41) haben die zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft bestellten Beamten des 
Polizei= und Sicherheitsdienstes den Anordnungen der Staatsanwälte bei dem Land- 
gerichte ihres Bezirks und der diesen vorgesetzten Beamten Folge zu leisten. Ferner 
wird in § 159 der Strafprozeßordnung vom l. Februar 1877 (R.-G.-Bl. S. 253) 
u. A. bestimmt, daß die Staatsanwaltschaft, um den Sachverhalt strafbarer Hand- 
lungen zu erforschen, Ermittelungen jeder Art, mit Ausschluß eidlicher Verneh- 
mungen, durch die Behörden und die Beamten des Polizei= und Sicherheitsdienstes 
vornehmen lassen kann, und daß diese Behörden und Beamten verpflichtet sind, dem 
Ersuchen oder Auftrage der Staatsanwaltschaft zu genügen. Endlich sollen nach 
§ 161 a. a. O. diese Behörden und Beamten auch aus eigener Entschließung straf- 
bare Handlungen erforschen, alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen treffen, 
um die Verdunkelung der Sache zu verhüten, und die so entstehenden Verhandlungen 
unverzüglich der Staatsanwaltschaft einreichen. 
Die Polizeibehörden haben, um die ihnen als Organe der Staatsanwalt- 
schaft nach den drei vorerwähnten Gesetzesparagraphen obliegenden Verpflichtungen 
zu erfüllen, insbesondere die Gestellung und Vernehmung von Angeschuldigten, Zeu- 
gen und Sachverständigen zu sichern, regelmäßig von den in § 132 des Landes- 
verwaltungsgesetzes vom 30. Juli 1883 vorgesehenen Zwangsmitteln, namentlich 
der Androhung und Festsetzung von Geldstrafen, Gebrauch gemacht. Ob sie hierzu 
befugt sind, und ob, wenn sie bei der Ausführung von Geschäften der „gerichtlichen 
Polizei" diese Zwangsmittel anwenden, gegen ihre einschlägigen Verfügungen die 
Rechtsmittel der §§ 133 und 127 ff. a. a. O. Platz greifen, ist zweifelhaft. Was 
insbesondere die letztere Frage betrifft, so ist sie von mir in früheren Erlassen, z. B. 
in der Seite 240 des Ministerialblattes der inneren Verwaltung Jahrgang 1890 
abgedruckten Verfügung v. 5. November dess. J. verneint worden, und das Oberver- 
waltungsgericht hat in mehreren Erkenntnissen denselben Standpunkt eingenommen. 
Nach Lage der Gesetzgebung stehen den Polizeibehörden in ihrer Eigenschaft 
als Organe der Staatsanwaltschaft keinerlei Zwangsmittel zu Gebote. Wäre also 
die Anwendbarkeit des § 132 a. a. O. auf die von den Polizeibehörden in dieser 
Eigenschaft zu verrichtenden Geschäfte ausgeschlossen, so würden sie, wenn die zur 
Vernehmung in Strafsachen geladenen Personen der Ladung keine Folge leisteten, 
bei einem Auftrage oder Ersuchen der Staatsanwaltschaft dieser die Sache unerledigt 
zurückgeben müssen, bei dem Vorgehen aus eigener Entschließung aber die Sache 
der Staatsanwaltschaft zu weiterem Befinden vorzulegen haben. In allen solchen 
Fällen bliebe alsdann der Staatsanwaltschaft nur übrig, die Hilfe der Gerichte 
in Anspruch zu nehmen. Allein dieser Ausweg würde bei der übergroßen Menge 
der in Betracht kommenden Vernehmungen, die sich jährlich auf mehrere hunderttau- 
sende belaufen mögen, alsbald versagen, wenn es erst allgemein bekannt geworden 
wäre, daß man unliebsamen Ladungen der Polizeibehörden in Strafsachen nicht zu 
entsprechen brauche, ohne Unannehmlichkeiten und Nachtheile befürchten zu müssen. 
Demnach würde, wenn den Polizeibehörden die Befugniß mangelte, die von ihnen 
als Organe der Staatsanwaltschaft erlassenen Verfügungen erforderlichen Falles
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.