Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 12. 75 
Hierdurch ist das in § 10 A. L. R. II. 11 statuirte, in dem Patent vom 30. März 
1847 noch festgehaltene Erforderniß der staatlichen Genehmigung religiöser Verbindungen 
beseitigt oder doch auf die Verleihung der Korporationsrechte reducirt. Auf der an- 
deren Seite sind die nicht mit Korporationsrechten beliehenen Religionsgesellschaften durch 
den Hinweis auf Art. 30 und 31 den allgemeinen Vorschriften über das Versammlungs- 
und Vereinigungsrecht unterstellt. 
Zur weiteren Sicherung dieser Freiheiten dienen Artikel 19 und das Gesetz, betr. 
den Austritt aus der Kirche, vom 14. Mai 1873 (Ges.-Samml. S. 207; Ausführungs- 
gesetz zum Deutschen Gerichtsverfassungsgesetz vom 24. April 1878 § 26, Ges.-Samml. 
S. 230, und die Allgemeine Verfügung vom 13. Juni 1873, betreffend die Ausführung 
des Gesetzes über den Austritt aus der Kirche vom 14. Mai 1873, Just.-Minist.-Bl. 
S. 183). Nach diesem Gesetze erfolgt der Austritt aus einer Kirche oder überhaupt 
einer mit Korporationsrechten beliehenen Religionsgemeinschaft durch Erklärung des 
Austretenden vor dem Richter — Amtsrichter — seines Wohnortes, und der Austritt 
zieht die Befreiung von den auf der persönlichen Angehörigkeit beruhenden kirchlichen 
Verbandslasten nach sich. 
Der zweite Satz des Art. 12 hat reichsrechtliche Gewähr erhalten durch das zunächst 
für den Norddeutschen Bund erlassene, demnächst zum Reichsgesetz erklärte 
Gesetz, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in 
bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung. Vom 3. Juli 1869. 
(Bundes-Gesetzbl. d. Nordd. Bundes S. 292.) 
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen cc., ver- 
ordnen im Namen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter Zustimmung des 
Bundesrathes und des Reichstages, was folgt: 
Einziger Artikel. 
Alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses 
hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte werden 
hierdurch ausgehoben. Insbesondere soll die Befähigung zur Theilnahme an der 
Gemeinde= und Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher Aemter vom 
religiösen Bekenntniß unabhängig sein. 
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem 
Bundes-Insiegel. 
Gegeben Schloß Babelsberg, den 3. Juli 1869. 
(L. S.) Wilhelm. 
Gr. v. Bismarck-Schönhausen. 
Vergl. hierzu Anmerk. D. zu Art. 4, oben S. 56. 
. Nach §§ 13, 27 A. L. R. II. 11 ist jede Kirchengesellschaft verpflichtet, ihren Mitgliedern 
Ehrfurcht gegen die Gottheit, Gehorsam gegen die Gesetze, Treue gegen den Staat und 
sittlich gute Gesinnung gegen ihre Mitbürger einzuflößen, und müssen sich sowohl öffent- 
lich aufgenommene, als bloß geduldete Religions= und Kirchengesellschaften in allen 
Angelegenheiten, die sie mit anderen bürgerlichen Gesellschaften gemein haben, nach den 
Gesetzen des Staates richten. Diese Grundsätze werden festgehalten. In den mittelst 
Erlasses des Kultusministers v. Ladenberg vom 15. Dezember 1848 veröffentlichten 
„Erläuterungen, die Bestimmungen der Verfassungsurkunde vom 
5. Dezember 1818 über Religion, Religionsgesellschaften und Unterrichts- 
wesen betreffend, Berlin 1848“ heißt es S. 7: 
Sollte also z. B. künftig eine Religionsgesellschaft zum Verderben des heran- 
wachsenden Geschlechtes unsittliche Lehren verbreiten, sollte sie unter dem Scheine 
der Religion die Verfassung des Staates angreifen, oder sollte sie die neben ihr 
stehenden Gemeinschaften in ihrem verfassungsmäßigen Rechte kränken, oder unter 
dem Vorwande der Religionsübung den öffentlichen Frieden stören, so würde sie 
sich vergeblich gegen die repressiven Maßregeln der Staatsgewalt auf die Freiheit 
berufen, weil eine Religion, welche sich ein solches Ziel setzt, keinen Anspruch auf 
den öffentlichen Schutz hat, und weil in der Gewissensfreiheit das Recht, gewissen- 
los zu handeln, nicht enthalten ist. 
Allerdings wird hierdurch die Glaubens= und Gewissensfreiheit in der Anwendung 
wieder problematisch, aber sie läßt sich in einem geordneten Staatsleben überhaupt gar 
nicht als absolute denken, weil nur insoweit von ihr Gebrauch gemacht werden darf, als 
(siehe Mohl Encyklopädie der Staatswissenschaften, 2. Aufl. 1872 S. 329)
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.