I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 13. 77
mit dem Recht auf das erercitium religionis publicum in vollem Umfange (§ 17:
„haben die Rechte privilegirter Korporationen“);:
2. geduldete Kirchengesellschaften (religio tolerata) mit dem Recht auf das erer-
citium religionis privatum.
Zwischen beide Gruppen schieben sich noch als Dritte diejenigen Religionsgesell-
schaften, welche, wie die Herruhuter, aufgenommen, aber nicht privilegirt sind, ein exer-
citium quasi publicum haben.
Das Patent vom 30. März 1847 (siehe Art. 12 Anmerk. A, oben S. 74) unter-
scheidet drei Klassen:
die geschichtlich und nach Staatsverträgen bevorrechteten Kirchen, nämlich die
roangellsch- und die römisch-katholische;
2. diejenigen neuen Religionsgesellschaften, welche sich in Hinsicht auf Lehre und
Bekenntniß mit einer der durch den Westfälischen Friedensschluß in Deutschland aner-
kannten christlichen Religionsparteien in wesentlicher Uebereinstimmung befinden, und in
denen ein Kirchenministerium eingerichtet ist;
3. alle anderen neuen nach den Grundsätzen des Allgemeinen Landrechts zur
Genehmigung von Seiten des Staates geeignet befundenen Religionsgesellschaften.
Endlich die Verfassungsurkunde gewährleistet nicht bloß die individnelle Be-
kenntnißfreiheit. sondern auch die Freiheit der religiösen Vereinigung und des gemein-
samen häuslichen und öffentlichen Gottesdienstes, ohne die staatliche Genehmigung als
Bedingung für die Bildung neuer Religionsgesellschaften festzuhalten, läßt aber die nen
sich bildenden Gesellschaften nicht schon durch ihre Konstituirung Korporationsrechte er-
langen, sondern behält die Verleihung derselben von Fall zu Fall einem besonderen
Akte der gesetzgebenden Gewalt vor.
Hiernach sind gegenwärtig drei Arten von Religionsgesellschaften zu unterscheiden:
1. Religionsgesellschaften mit Korporationsrechten.
a) Die geschichtlich und nach Staatsverträgen bevorrechteten Kirchen, nämlich
die evangelische Landeskirche der älteren Provinzen, die evangelischen (lutherischen, refor-
mirten, unirten) Landeskirchen der 1866 einverleibten Länder, einschließlich der reformirten
Konföderation in Niedersachsen, endlich die katholische (einschließlich der altkatholischen).
Diese Religionsgesellschaften allein heißen im Sprachgebrauche der Verfassungs-
urkunde sowie überhaupt der neueren Preußischen Gesetzgebung, ebenso in dem des 8 166
des Strafgesetzbuchs (vergl. Art. 12 Anmerk. D. Nr. 2. oben S. 76) Kirchen oder christ-
liche Kirchen. Der Staat bemißt sie nicht nach den Normen des Privatrechts, sondern
betrachtet sie, vorbehaltlich seines Oberaufsichtrechts, als mit Autonomie und mit Macht-
befugniß über ihre Mitglieder ausgestattete Anstalten des öffentlichen Rechts. Ihre
Einzelorganisationen (Gemeinden 2c.) haben juristische Persönlichkeit. Der Staat leiht
ihnen seine Macht zur Aufrechthaltung des kirchlichen Rechts und Durchführung der
kirchlichen Anordnungen und verleiht ihnen mannigfache Privilegien: Gebrauch von
Glocken, Gewährung von Staatsmitteln für ihre Bedürfnisse, Befreiung der Geistlichen
von gewissen staatlichen Lasten sowie von kommunalen Abgaben und Leistungen, Steuer-
exemtionen für bestimmte kirchliche Gebäude und Grundstücke, gänzliche oder theilweise
Beobachtung der kirchlichen Festtagsordnung auch in nichtkirchlichen Verhältnissen.
b) Die gewöhnlichen Religionsgesellschaften mit Korporationsrechten. Dahin ge-
hören die Altlutheraner, die Niederländischen Reformirten in Elberfeld (Kohlbrüggianer),
Herrnhuter und Böhmischen Brüder, Mennoniten, Baptisten und die vorschriftsmäßig
gebildeten Synagogengemeinden. Dieselben haben zwar Korporationsrechte, sind aber
nicht Anstalten des öffentlichen Rechts, ihre Aemter sind keine öffentlichen, der staatliche
Exekutivschutz für die Leistungen ihrer Angehörigen fehlt ihnen. Die Herrnhuter und
Altlutheraner sind allerdings bevorrechtigt, indem sie nicht bloß juristische Persönlichkeit,
sondern auch ein staatlich anerkanntes Kirchenregiment mit obrigkeitlicher Gewalt, die
Altlutheraner ferner das Recht des Kirchengeläutes und der öffentlichen Abhaltung kirch-
licher Begräbnißfcierlichkeiten haben.
2. Religionsgesellschaften ohne Korporationsrechte.
Diese Gesellschaften, wie Irvingianer, Nazarener, Quäker, Grundtvigianer, freie
Gemeinden, Deutschkatholiken, Philipponen, sind reine Privatgesellschaften, können nicht
als Ganzes, sondern nur in ihren einzelnen Gesellschaftern am rechtlichen Verkehr Theil
nehmen, und ihre Religionsdiener sind bloße Privatbedienstete. Ebenso findet auf sie
Anwendung die Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung