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Namentlich wird dies der Fall sein bei einem Steuer-
systeme, welches die sozialpolitischen Aufgaben des Staates
anerkennt und diesen Rechnung zu tragen sucht.
Es giebt bekanntlich zwei Hauptgrundsätze, nach welchen
die Staatsbürger sich an der Aufbringung der Staatslasten zu
betheiligen haben. Der erste Grundsatz ist die Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit des Einzelnen, während der zweite
Grundsatz das Interesse, welches die Einzelnen an den Ein-
richtungen des Staates nehmen, in den Vordergrund stellt.
Die deutsche Finanzwissenschaft hat den Grundsatz von Leistung
und Gegenleistung als obersten Rechtsgrund für die Steuer-
pflicht mit Recht verworfen, weil sie dem Staate die Pflicht
zuweist, auch denjenigen zu schützen, der den Schutz nicht
bezahlen kann. Diese Auffassung kann sich jedoch nicht auf
solche Bedürfnisse erstrecken, deren Nichtbefriedigung den
Staat nicht aufhebt, so dringend sie auch sein mögen. Hier
muss nothwendigerweise das individualisirende Moment in den
Vordergrund treten. Das Prinzip des Interesses im Steuer-
systeme, welchem das Gebührenwesen seine gegenwärtige
Ausgestaltung verdankt, ist im Gegensatze zur deutschen Finanz-
wissenschaft von der französischen Schule seit jeherin denVorder-
grund gestellt worden, namentlich durch Leroy Beaulieu?),
und es erscheint uns nicht zweifelhaft, dass das sozialpolitische
Moment in der Steuergesetzgebung, welchem sich heute kein
Staat entziehen kann, auch auf die jetzt noch in den deutschen
Staaten vorhandene historische Abneigung gegen das Prinzip
des Interesses, welche auf die Verfassung des deutschen Zoll-
und Handelsvereines, die der Ausbildung der indirekten Steuern
überhaupt nicht günstig war, zurückzuführen ist, nicht ohne
Einfluss bleiben wird. Die moderne Entwickelung der Volks-
!) „Der Staat ist der Garant aller Verkehrsvorgänge. Es ist
deshalb natürlich und gerecht, dass der Staat von dem Werthbetrage
der einzelnen Transaktionen eine Abgabe erhebt, welche einer Ver-
sicherungsprämie gleicht. Diese Abgabe ist der Preis für einen
geleisteten Dienst, welchen niemand leisten kann als der Staat.“
Trait&e de la science des finances. Vol. I, chap. XI. 1888.
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